Samstag, 19. Juli 2008

Dicke Bretter
Max Reger behandelt in seinem "Vater unser" (o. O., 1909/1910) den Chor wie eine Orgel: Register und Mixturen kommen da vor, wie sie auch das chorgewohnte Ohr nicht oft zu hören bekommt. Geteilt in dreimal vier Stimmen führt er die Sänger an die Grenzen ihres Ambitus, lässt die Chöre in vorbachscher Manier einander Antwort geben, mixt aber auch hohe Stimmen zu Sirenenklängen und lässt die vielen eng beieinanderliegenden Männerstimmen knurren. Plagale Harmoniefolgen (C-B-D-H-Dis-cis-Cis, Reger halt) illustrieren das Gottesreich; dass wir "unsern Schuldigern" auf Erden nicht vergeben können (und wollen), das grätscht uns schmerzhaft ein unaufgelöster D#7b9 vor. Im Zentrum die Bitte um Erlösung und ihre Gewährung gleichzeitig: butterzart und den tiefen Stimmen geschenkt der zwölftaktige Choral, in H-Dur natürlich, da sind sie wieder, die fünf Kreuze, die alles können. Das lutherische "von dem Bösen" lässt dem Betenden ja bekanntlich die Wahl, ob er an "das Böse" oder "den Bösen" denken mag dabei (ich meine, M. L. hatte "den Bösen" immer im Blick, denn er war im nah, auch immer); hier ist es "das Übel", von dem wir erlöst werden sollen - auch gut. Am Ende dann natürlich so etwas wie eine Fuge (es tut jedenfalls wie eine Fuge), in barockester Verschlingung der Stimmen gesetzt, auch technisch barock geführt, harmonisch jedoch auf Alban Berg zeigend, über und zwischen allem ein Posaunenregister mit einem scharf trötenden Cantus firmus, und man erkennt klar, dass Reich und Kraft und Herrlichkeit auf Erden tatsächlich nicht unser sind, aber Schreien darum tut einfach sehr gut: Vater!
Amen.

Außerdem: Drei sechsstimmige Chöre op. 39. Der andere Reger, der süße. Von zitternden Blümlein und süßem Hoffen, von Morgenlicht und purpurrotem Abendglühen im Wald ist da die Rede, aber nicht naiv, sondern auf wunderbare Weise wissend, wie gefährlich solche hinter dem Brustbein wohnende Empfindung uns ins Wanken bringen kann, und wie schön dieses Wanken sei. Man möchte alles mit th schreiben.

Dazu gibt es die sogenannte Deutsche Messe von Franz Schubert, welche ja im Normalfall der selben Mechanik gehorcht wie jedes Krippenspiel: denen, die das Kunstwerk aufführen, macht es Arbeit und Freude und sie sind mit Eifer dabei, und die zuhören, müssen's erdulden. Es sind darin allerdings Schätze zu heben, das ist nicht unmöglich. Und Reger macht hier die Beleuchtung dazu, das lässt hoffen.

Live und in Farbe gibt es das alles (und noch ein paar Preziosen mehr) am 7. September 2008 im Abschlusskonzert der 2. Max-Reger-Biennale in Giengen an der Brenz. Und der SWR wird es eines schönen Tages senden.

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