Donnerstag, 6. November 2014

Differencias
Ein herrlicher langgezogener Raum so lang wie die ganze Kirche, im Fußboden die "Ruhe Kammern" in gleichmäßiger reihenweiser Anordnung, mit hanseatisch sparsamer Beschriftung auf allen Gräbern, auch auf denen der schon zu ihren Lebzeiten Berühmten. Eine gleichmäßige Säulenordnung stützt das wirklich niedrige, zu den Säulen tief hinuntergezogene Gewölbe, das den Besucher zu kreuzförmigem Gehen zwingt, Diagonalen sind nicht möglich.

Diese Krypta ist eine Rumpelkammer. An den Säulen jeweils zu mindestens zwei Seiten seltsam magere Vitrinen für die Flachware: interessante Exponate hineingepackt wie von einer Schulklasse arrangiert. Andere Vitrinen, anders in der Anmutung und im Material, zum Teil schrägstehend vor den Seitenwänden, wieder andere in den Raum gerückt, auch irgendwie schräg hineingestellt. In den Nischen wiederum interessante Exponate der Bestattungskultur früherer Jahrhunderte, teils mit unbeholfenen, simpel kolorierten Zeichnungen simpel illustriert. In einer Nische eine Stehlampe, IKEA. Staubig. Ohne Funktion, da ohne Steckdose. Eine weiß lackierte kleine Kirchenbank (ein Dreisitzer), darauf ein Stapel Sitzkissen. Ein Rollwagen mit einem einzelnen Stuhl darauf. Oh, noch eine Stehlampe, ein bisschen um die Ecke gestellt. Schätzungsweise Fünfziger Jahre, ob staubig oder nicht, kann man nicht erkennen, da sehr dunkel positioniert. Ah, ein Altar, es werden offensichtlich Andachten gefeiert. Auf der kleinen Orgel zwei einzelne schlichte Kerzenleuchter, das ist schön. Daneben ein gigantischer Opferleuchter aus Metall, der auf den Flohmarkt gehört. Huch, ein Marimbafon. Ah, hier wieder Fotos an den Wänden. Hui, der Bachsche Stammbaum als Baum mit grünen Blättern, das macht man doch schon lange nicht mehr. Naja, auch auf alten Plakaten stimmen natürlich die Fakten. In Nischen Originalstücke, die vom großen Brand vor 100 Jahren übrig- und verbogen geblieben sind, aber nicht nur hier, so etwas war doch auch links seitlich schon zu sehen, so ein geschmolzener Christus. Auch die Uhrzeiger aus der Zeit, mit goldenem Lack übermalt, an einer Wand. Beeindruckend die Länge, immer wieder, wenn es um Turmuhren geht.

Lange metallene Lichtschienen entlang den flachen Gewölbedecken spenden Industrielicht. Um alle Säulen Rinnen, aus denen eidottergelbe Lichterschlangen die weißen Decken mehr beschmieren als beleuchten. Ein Kampf, in dem der Besucher nicht richten will.

Abgeteilte Kabuffs wie auf einem Siebziger-Jahre-Dachboden, teils mit beknauften Türen, teils nur mit Gittertüren wie Kaninchenställe abgeteilt, die offenstehen. Darin Staubsauger, Stuhlstapel auf Rollwägen, bunte Plastikklappboxen, Stapel von weißen Textilien in Plastiksäcken. Alles auf den Grabplatten, wie gesagt, die Stalltür steht allen Interessenten offen.

Natürlich wackelt ein kleines Konzertpodest auf diesem Boden aus großformatigen Steinplatten, aber man kann es ja mit fransigen Teppichbodenresten unterfüttern. Ein staubiger bronzefarbiger Deckenfluter balanciert kippelig im Gestrüpp seiner Kabel, die von weit hergeholt werden. Die Notenständer sind hochmodern und wunderbar mattschwarz, sie kommen aus der Hauptschiffmusike, klar.

Küsterei, könnt ihr mal bitte euer Hörgerät anschalten? Räumt doch mal euren Saustall hier unten auf. Ihr seid doch hier die Hamburger (!!) Haupthauptkirche (!!), fragt doch mal jemanden, ob hier nicht mal ein ordentliches Ausstellungskonzept samt Licht- und Ausstattungsberatung eingekauft werden kann, ungefähr von der Güte, die in der Kirchenmusik selbstverständlich ist. Schließlich zahlen eure Gäste an normalen Tagen Eintritt für den Rundgang hier.

[Non]

 
Ach, das ist öffentlich!? Ich stellte mir so ein vergessenes Magazin vor mit einem vergessenen Musikwissenschaftler, der den einzigen Schlüssel besitzt.

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Ja, so einen buckligen in einer alten Strickjacke, nicht wahr? Der saß im Publikum und las während des Konzerts Aristoteles und kaute auf seinem Bart.

Alles öffentlich, ja. Vielleicht nur in meinen Augen schlimm. Interessante Sachen jedenfalls dort unten.

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