Montag, 18. Februar 2008
An der Bushaltestelle
Dass da ein Bus kommt. 18 33 steht auf dem Plan, um 18 33 40 kommt der Bus. Der Plan wurde im letzten Dezember aufgehängt. Sie hat die Pläne ausdruckt, hat eine dreitägige Fortbildung für die neue Planungs-Software in Düsseldorf gemacht. Sie ist Meeresbiologin, und schon während des Studiums kam ihr Sohn zur Welt, nach dem Diplom hätte sie eine Stelle in den Niederlanden besetzen können, aber ihr Mann verdient gut als selbstständiger Architekt, und das Kind brauchte sie. Sie hat noch gelegentlich durch Briefe (zweidreimal im Jahr schafft sie es und muss jedesmal eine frische Patrone in den roten Pelikan-Schulfüller stecken, den sie immer noch benutzt, aber sie schreibt heute so selten damit, dass die Tinte jedesmal dickflüssig und klumpig ist, wenn sie sich zum Schreiben an den Tisch setzt; und dann muss die halbvolle Patrone weggeworfen werden, und sie sieht jedesmal, dass sie noch mindestens zwei Briefe damit hätte schreiben können, aber eben nur innerhalb einer gewissen Zeit, der Patrone eigenen Zeit), hat also noch Kontakt zu einer Kommilitonin, deren Kanarienvogel ihr damals schon sehr einsam vorkam - wer Biologe ist, sollte doch wissen, wie schwarmgewohnte Tiere zu halten sind, so dachte sie, und konnte das Misstrauen in die Empathiefähigkeit ihrer damals engsten, einzigen Freundin nie ganz unterdrücken. Heute noch erwischt sie sich dabei, dass sie, in Gedanken zum Beispiel an den nächsten Opernball und sein Motto "Bella Italia", das sie versucht sein läßt, einem morschen Petticoat zu Ausgang zu verhelfen, welcher von ihrer Tante auf sie gekommen ist, als diese, erst 56 Jahre alt, endlich der Multiplen Sklerose erlegen war; den Opernball also, den sie seit Jahren gemeinsam mit dem benachbart wohnenden Medizinerpaar besuchen (er ein hinreißender Tänzer - sie gesteht sich in Momenten der mittelschweren Betrunkenheit vom Rotwein allein verbrachter Kaminabende trotzig und mit einem Anflug von Bosheit ein, dass nur er und seine Künste der Grund für ihre lange vorher sich bemerkbar machende, bebende Freude auf das gesellschaftliche Pflichtereignis ist, und er tanzt an einem solchen Abend nicht nur einmal mit ihr, ja, das fällt ihr jedesmal auf), dass sie die äußeren Salatblätter erst einmal beiseite legt, bevor sie sie doch in das Biotönnchen wirft, denn das war immer ihr beschmunzeltes Mitbringsel zum WG-Küchen-Kochabend. "Grünli für Grauli" (so hieß der Vogel, gelb wie er war), der Spruch war ihr nicht zu albern, damals, irgendwie mochte sie das Tier gern, das immer an den baumelnden Spiegel gelehnt auf immer derselben Stange saß. Ein Haustier hat sie in Erinnerung an ihn erfolgreich abgelehnt, auch wenn Julian immer mal wieder EIN Meerschweinchen haben wollte. Der ewige Scherz ihres Mannes, das sei doch wenigstens ein fachspezifisches Tier für sie, der schmerzte jedes Mal.
18 33. Heulend schaltet das Automatikgetriebe runter, und der Bus hält (ein dienstleisterisches Bonbon des Fahrers) mit der Tür genau da, wo ich am Bordstein stehe. Nur weil sie das Meer nie mehr befahren hat, außer mit der Fähre nach Ischia, und da brauchte sie kein Ölzeug und keine Reagenzgläser.
18 33. Heulend schaltet das Automatikgetriebe runter, und der Bus hält (ein dienstleisterisches Bonbon des Fahrers) mit der Tür genau da, wo ich am Bordstein stehe. Nur weil sie das Meer nie mehr befahren hat, außer mit der Fähre nach Ischia, und da brauchte sie kein Ölzeug und keine Reagenzgläser.
[Terz]
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