Montag, 7. Juli 2008
Blame it on my heart
Präludium und Fuge gis-moll, BWV 887
Saftig hebt es an, das Präludium, und breitet sein Material gleich über einem kleinen wohldosierten Orgelpunkt aus. Hier bin ich, sagt das Gis, und ich weiche nicht. Sinfonisch kommen die schaukelnden Brechungen der Quinten und Sexten daher und schaffen eine Atmosphäre von ungebändigter Energie und einer nicht enden könnenden Kraft. Gehende Bässe und die chromatische Führung der gebrochenen Harmonien in figurativen Sprüngen erzeugen im Verein mit dem betriebsam sich durch die Tastatur ergehenden Diskant einen unwiderstehliche Bewegung des gesamten Raumes und der Zeit noch dazu. Wie tief es hinabgeht im zweiten Teil, der nicht nur die obligatorische Unterquinte berührt, sondern sogar eine weitere Quinte hinabsteigt, ins freundlich-milde A-Dur, ein Akt der wohltuenden Herablassung in schlichtere Gefilde. Der größte Schatz dieses Stückes liegt aber in seiner indefiniten emotionalen Farbe begründet. Man mag Wut darin erkennen; es lässt sich als Ausdruck einer rauschenden, unbenennbaren Freude lesen und spielen, Traurigkeit zum Tode ebenso wie Trost zum Leben lassen sich heraushören und hineinlegen. Wer liebt, wird in diesem Stück lieben, wer hasst, kann seinen ganzen Hass in diesen Tönen wiederfinden. Wer leer und fühllos ist, wird großzügig versorgt mit Farben und Geschmack und Materie für alle Zwecke. Fragen und Antworten, die nicht zueinanderpassen wollen und dennoch valide Bezüge zueinander haben, hat der Summus Genius Musicae hier in die Tasten gezaubert, man muss nur an der Grafik entlang sich bewegen und der reichen Beschilderung vertrauensvoll folgen. Keine picardische Terz befreit allerdings von Ernst und Wesentlichkeit, ein einzelner Ton, das bittere Gis alleine versammelt am Ende alle Motion, die gute und die leidvolle. Einmal volltanken auf vier Seiten. Oder Gas geben, oder beides.
Die Fuge: eine Doppelfuge, gnädig in nur drei Stimmen gesetzt. Das erste Thema so diatonisch wie es nur sein kann, sechs Töne bleiben unbehelligt sogar vom alterierten Leitton. Sekundschritte und Oktavspannung friedlich nebeneinander, und wie zum besseren Verstehen der eigentlich schon einfachen Verhältnisse (auch für dich ist das Wort, einfacher Geist, du sollst nicht verloren sein) wird alles zweimal gesagt, ohne Schnörkel einfach einen Ton höher. Fehlende rhythmische Gliederung als ein Fanal der Bescheidenheit und einer geradezu evangelischen Askese - in der Ruhe liegt die Kraft. Sechs Töne, eine Länge: wie Backsteine reichen sie aus für die Errichtung eines großen Gebäudes, man muss nur genug davon nehmen. Der Sechsachtel-Takt bietet aber dann im Kontrasubjekt doch die Bühne für eine tänzerische Note, die fein oder kräftiger dosiert werden kann je nach gewählter Zackigkeit in der Phrasierung - alle Möglichkeiten auch hier, der ganzen Angelegenheit einen heiteren oder auch einen schwer lastenden Charakter zu verpassen. Das zweite Thema dann natürlich rhythmisch leicht bewegt, freilich ohne das eng gefasste metrische Repertoire des bis dahin harmonisch weit entwickelten Stücks zu sprengen, ein Backstein bleibt ein Backstein. Voll chromatisch durchmisst dieses zweite Thema den Raum einer engen Quarte, mit einem Trillerchen am Ende fast verwegen geschmückt: kleines buntes Fenster in der Apsis einer schlichten Kathedrale. Der neapolitanische Sextakkord (A-Dur, wir kennen die tröstliche Farbe in dieser strengen Welt bereits) lugt mit schiefgelegtem Kopf immer wieder hinter den meterdicken Säulen der strengen Tonlage hervor und weist mit seinem freundlichen Gemüt den Weg über wild mäanderndes, golden blinkendes Mosaik von Anfang an, denn er kennt sich aus im Vertikal-Akkordischen und im Chromatischen gleichermaßen. Nicht unpassend und doch überraschend der übermäßige Sextakkord gegen Ende, unwiderstehlich entwickelt aus unverhandelbaren Linien, ein übermäßiger Sextakkord, wie er später von Mozart vielleicht nicht erfunden, aber salonfähig gemacht werden wird - hier gibt es ihn schon, aber er ist ein Geheimtipp, und nur wer genau aufpasst und die Stelle kennt, wird ihn finden, der in keinem Reiseführer verzeichnet ist. Am Ende führt der Weg zurück zum Ausgang, und ohne Alteration wird es erreicht, das einsame Gis, das sich nicht fürchtet, niemals.
Fünf Kreuze natürlich, nur die fünf können das.
Die Fuge: eine Doppelfuge, gnädig in nur drei Stimmen gesetzt. Das erste Thema so diatonisch wie es nur sein kann, sechs Töne bleiben unbehelligt sogar vom alterierten Leitton. Sekundschritte und Oktavspannung friedlich nebeneinander, und wie zum besseren Verstehen der eigentlich schon einfachen Verhältnisse (auch für dich ist das Wort, einfacher Geist, du sollst nicht verloren sein) wird alles zweimal gesagt, ohne Schnörkel einfach einen Ton höher. Fehlende rhythmische Gliederung als ein Fanal der Bescheidenheit und einer geradezu evangelischen Askese - in der Ruhe liegt die Kraft. Sechs Töne, eine Länge: wie Backsteine reichen sie aus für die Errichtung eines großen Gebäudes, man muss nur genug davon nehmen. Der Sechsachtel-Takt bietet aber dann im Kontrasubjekt doch die Bühne für eine tänzerische Note, die fein oder kräftiger dosiert werden kann je nach gewählter Zackigkeit in der Phrasierung - alle Möglichkeiten auch hier, der ganzen Angelegenheit einen heiteren oder auch einen schwer lastenden Charakter zu verpassen. Das zweite Thema dann natürlich rhythmisch leicht bewegt, freilich ohne das eng gefasste metrische Repertoire des bis dahin harmonisch weit entwickelten Stücks zu sprengen, ein Backstein bleibt ein Backstein. Voll chromatisch durchmisst dieses zweite Thema den Raum einer engen Quarte, mit einem Trillerchen am Ende fast verwegen geschmückt: kleines buntes Fenster in der Apsis einer schlichten Kathedrale. Der neapolitanische Sextakkord (A-Dur, wir kennen die tröstliche Farbe in dieser strengen Welt bereits) lugt mit schiefgelegtem Kopf immer wieder hinter den meterdicken Säulen der strengen Tonlage hervor und weist mit seinem freundlichen Gemüt den Weg über wild mäanderndes, golden blinkendes Mosaik von Anfang an, denn er kennt sich aus im Vertikal-Akkordischen und im Chromatischen gleichermaßen. Nicht unpassend und doch überraschend der übermäßige Sextakkord gegen Ende, unwiderstehlich entwickelt aus unverhandelbaren Linien, ein übermäßiger Sextakkord, wie er später von Mozart vielleicht nicht erfunden, aber salonfähig gemacht werden wird - hier gibt es ihn schon, aber er ist ein Geheimtipp, und nur wer genau aufpasst und die Stelle kennt, wird ihn finden, der in keinem Reiseführer verzeichnet ist. Am Ende führt der Weg zurück zum Ausgang, und ohne Alteration wird es erreicht, das einsame Gis, das sich nicht fürchtet, niemals.
Fünf Kreuze natürlich, nur die fünf können das.
[virtus]
jean stubenzweig,
9. Juli 2008, 04:37
Wüßte, verstünde ich mehr von Musik, würde ich es wohl erkennen, das Stück. Doch es reicht mir auch so: geschrieben. Also wieder solch ein Stück. Ich bin hingerissen von dieser Komposition.
Dank!
Eben erkenne ich (oben): Bach. Ich werde es mir anhören. Und dabei die(se) Partitur lesen.
Dank!
Eben erkenne ich (oben): Bach. Ich werde es mir anhören. Und dabei die(se) Partitur lesen.
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hora sexta,
10. Juli 2008, 00:36
Wenn Sie können, lesen Sie es nur oder besser: spielen Sie es. Die Potenzen erschließen sich nicht beim Hören eines bestimmten Interpreten, glaube ich.
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