Freitag, 1. April 2011

Kein Besuch: Der Schlitzer
Es kommt Elektrik zum Vorschein bestehend aus bröseligen Kabeln, die sich mit einem Ruck mit den Händen zerreißen lassen. Die wunderschönen 50er-Jahre-Tellerlichtschalter können da lange jammern: neue Kabel müssen her, die dick sind wie der kleine Finger des Bauherrn. Der zunächst favorisierte Ansatz, die grauen Schnüre mittels homöopathisch auf die Länge des Firsts fokussierter Hoffnung und zirkulierend angewandter Astrophysik hinter den Putz zu verbringen, ist gescheitert, und so tritt Plan B in Kraft in Person des Schlitzers. Er rutscht abwechselnd im Schneidersitz und mit nur einem untergeschlagenen Bein rückwärts wie ein Säugling, immer an der Wand entlang und hinterlässt mit dem nicht besonders breiten, aber ansehnlichen Hintern in einer malerisch (Wortspiel! Passend und poetisch, wie Wortspiele eben sein müssen, wenn sie schon nicht lustig sind.) verzierten Hose eine wie mit dem Richteisen gezogene Spur auf dem eigentlich schon entstaubt geglaubten Fußboden. Keine Maschine hat er dabei, nur mit Stechbeitel, Hammer und Schraubenzieher jongliert er wie ein leider dort nicht engagierter marokkanischer Cirque-du-Soleil-Künstler. "Das ist einfach die beste Arbeit, davon wissen die Bürolackgiraffen natürlich nichts" scheint er beständig vor sich hinzumurmeln, aber vielleicht repetiert er auch Händelarien und hat seine Stimmbänder nicht richtig im Griff dabei wegen des vielen Staubs, man kann ihn nicht gut verstehen hinter der anfänglich ja chirurgisch weiß gewesenen Staubmaske, die nur die großen Augen hinter einer lupendicken Brille freilässt. Ohrstöpsel möchte man ihm anbieten, denn es hallt gewalltig (sic!) in der kleinen Halle, aber es sind nur gebrauchte im Bohrmaschinenetui, und so macht er Kehrpausen und Rausguckpausen und Betrachtungspausen, so oft er kann, richtig schnell ist er nicht, wenn eine Bürogackliraffe so arbeiten würde, da würde der Chef ihr Beine machen, aber der Schlitzer hat ja Beine, schöne, wie sich herausstellt als er für eine ausgiebige Mittagspause alle Klamotten auszieht, bis auf den Slip. Toll, und dann zieht er saubere Kleider an, nur für diese lächerliche Mittagspause, das ist auch toll. Ob er duschen könnte? Klar, bittesehr, die frischen Handtücher sind ja nicht in Kisten, sondern in der Kommode, hinten im Gästezimmer. Danach ist er froh um die dampfende Tasse Kaffee mit Milch und Zucker, er scheint die einfachen Dinge irgendwie zu schätzen, jedenfalls lässt er sich seinen Hunger nach mehr nicht anmerken.

Der Schlitzer bin ich natürlich selbst, und als ich heute morgen diese kleine galoppierende Maus im Garten hin- und herflitzen sah, mit riesigen erfrorenen Halmen zehnmal so lang wie sie selbst zwischen den Zähnen und allerhand sonstiger Biomasse immer zwischen dem großen Rosen- und Grasdickicht und ihrem Hauseingang in der Böschung, da wusste ich, dass ich sie nicht vergiften kann, heute jedenfalls nicht.

 
Ein (mich) rührender Text. Vielen Dank dafür! =)

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Oh, ich bitte Sie, Herr Prieditis.
Danke meinerseits.

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Noch nicht fertig?

Das mit den Beinen, also das vermutete ich auch. Jawoll!

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Fertig? Sagten Sie "fertig"? Also hm. Geht gerade erst los! Nach den Kabeln neue Steckdosen und Schalter, dafür müssen noch Löcher für die Dosen gebohrt und gestemmt werden. Die Wände sind ja noch alle roh und voller Dübellöcher, und die Fußleisten müssen geschliffen und lackiert werden, und die Balken brauchen noch eine Lasurschicht. Auf der Galerie sind noch die Dielen zu lasieren und zu versiegeln, dort auch noch Elektrik genaugenommen und vielleicht eine Absturzsicherung, es fehlt noch die Leiter dort hinauf (habe da einen Leitermacher aufgetan, sowas gibt's noch in Thüringen, der die sauber verzapft nach Maß anfertig, unbehandelt natürlich), die muss auch noch zweimal lasiert/geölt/gestrichen werden, und dann kommen Dämmmatten und Parkett rein und Viertelkreisleisten rundrum und dann werden ein paar neue Möbel zusammengebaut und alles andere aus den anderen Zimmern hochgeschleppt werden. Lampen müssen montiert werden und Sonnenschutz nach Süden. Und dann baue ich mein Bett auf und dann bin ich fertig. Ich sage Bescheid, ja?

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Schick!

Und all meinen Respekt und Hochachtung für Ihr Können und das was Sie sich zutrauen. Alle Achtung! Und: So was mag ich ja. Sehr!

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*knickst* Danke! Sie sind einer von denen, die wissen, wie zufrieden sowas machen kann...

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Sie Arbeiterin der Stirn und der Faust, Sie begeistern und rühren mich.

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Ach, das ist doch keine Arbeit. Morgens, wenn der Leib ausgeschlafen ist, jedenfalls nicht. Abends scheint es dann zuweilen doch so, und dann gilt es, alles zu lockern. Das ist wichtig.

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Der Frühlingsnestbau ist doch immer wieder ansteckend.

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Man muss ja bereit sein, falls mal  einer Besuch kommt.

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