Sonntag, 19. Juni 2011

Frau König
Frau König geht nur noch mit Einweghandschuhen einkaufen. Die Perücke sitzt schief, das Makeup liegt dick in den Wangen, der Alterssigmatismus als Nebenwirkung nicht mehr passender dritter Zähne lässt sie nicht langsamer, aber schwerer verständlich davon sprechen, dass sie eine Krankheit hat, die nicht einmal ihre Nichte, die ja eine gute Ärztin ist, versteht. Nicht einmal ihre Nichte, so eine gute Ärztin, das muss man sich vorstellen, aber nun hat sie ein Buch gefunden, bei Böhnert, Sie kennen doch die Buchhandlung, nicht, da steht alles drin, was sie hat. Aber ihr Arzt will das Buch nicht lesen, sie hat es ihm mehrmals schon angeboten, denn da steht alles drin, was sie hat. Vor ein paar Jahren noch fuhr sie mit ihrem weißen Mercedes 190 eigenhändig an die Ostsee in den Sommerurlaub (ihr Mann war vor vielen Jahren schon verstorben, sie hat ihn in ihrem kleinen Haus gepflegt bis zum Tod, er war ein guter Mann), und vor ein paar weniger Jahren lenkte der Mercedes plötzlich nicht mehr richtig, er verkeilte sich beim Ausparken aus der engen Garage, und sie überließ mir flatternd ihren Schlüsselbund. Ich parkte das Auto an der Mauer, und sie von da an auch immer. Dann funktionierte das Gaspedal nicht mehr ordnungsgemäß, ein helles Scheppern ließ mich durchs Gartentor hinausschauen, und da war dieser sowieso schon länger kaputt gehende Mercedes doch tatsächlich rückwärts gegen einen Laternenmast gefahren, obwohl er eigentlich doch sonst immer vorwärts fuhr. Mit einem kaputten Auto kann man nicht fahren, und ich habe sie unterstützt in ihrem aufgeregten Entschluss, sofort die Werkstatt anzurufen und das Auto zurückzugeben. Seitdem fährt sie mit dem Taxi an die Ostsee in Urlaub.

 
Damen wie Frau König fahren nicht nur profan an die Ostsee, sie reisen dorthin. Ich mag übrigens den Respekt, der ihr hier entgegen gebracht wird. Sehr.

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Sie haben recht, von fahren kann gar keine Rede sein. Ich freue mich einfach immer, wenn ich sie treffe, und ich bewundere diese Konstanz, trotz zunehmender Gebresten immer eine Dame zu sein.

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