Montag, 7. November 2011

Mein großer Bruder
Man kann seinen besten Anzug tragen und ein schwarzes Hemd dazu. Man kann eine knappe Stunde vor der Trauung seine letzten Gäste persönlich mit dem leicht vermüllten Dienstwagen vom Bahnhof abholen. Man kann, bevor man seine Braut einsteigen lässt, die leere Bierflasche noch aus dem Fußraum nehmen, man kann es aber auch lassen. Man kann seinen Blumenanstecker fürs Revers irgendwie an den Sicherheitsgurt verlieren. Man kann sehr froh sein und sehr zufrieden, während die Gäste sich vor dem Standesamt gegenseitig fotografieren. Man kann bei der abgelesenen Rede der noch sehr jungen Standesbeamtin auf dem Stuhl zappeln und allen Angst machen, dass man dazwischenquatschen und bissige Bemerkungen machen wird zu Vortrag und Inhalt, man kann sich zwischendurch mit einem tiefen Atemzug zurücklehnen (Entspannung im Auditorium), man kann mit entsetztem Ausdruck beim Umblättern den Umfang des Redemanuskripts prüfen, indem man mit gerunzelten Gewitteraugenbrauen und langem Hals vorne auf die Stuhlkante rutscht, und man kann dann beschließen, alles wie ein Schaf hinzunehmen und dann doch zurücklächeln, während einem die Braut, die sich längst für Amusement entschieden hat, die Hand drückt, die sie die ganze Zeit schon auf ihrem Schoß hält.

Man kann dann allen und allen voran sich selbst 15 Gault-Millau-Mützen, pardon, -Hauben aufsetzen und sehr aufgeräumt Champagner trinken, man kann nach der Vorspeise weinen, weil einer wirklich bewegend spricht, man kann sehr angegriffen in die Stoffserviette weinen und endlich ganz sprachlos sein und trotzdem ein schönes Essen mit allen haben.

Danach kann man seine 10 Gäste mit dem Linienbus über die Grenze bringen und dort Crazy Mouse und Riesenrad auf dem Münsterplatz fahren lassen und dazu Maroni und Schokoladenbruch aus der Tüte rumgehen lassen bis die Sonne untergegangen ist und alle durchgefroren sind. Danach kann man zu Hause mit ein paar von den 10 Sportschau schauen oder mit den anderen paar von den 10 in der Küche ein bisschen Räucherfisch und Käse auf große Teller hauen, Brötchen aufbacken und Kürbissuppe warm machen, das kann man sich aussuchen. Man kann neben seiner Frau stehen und nicht anders aussehen als sonst, die Frau sieht nämlich auch zwar frisiert und schon ein bisschen dick aus, aber eigentlich ganz normal, während sie Cola in den Kühlschrank schichtet. Man kann, wenn die alten 4 nach mehreren Glas Wein und nach anschließendem Absingen von mehrstimmigen Kinderliedern endlich im Hotel verschwunden sind, mit den jungen 5 (der jüngste Gast schläft längst) noch bis um 4 Uhr morgens in der Küche hocken und immerwieder hinter sich die Balkontür aufmachen und noch einzwei Bier reinholen. Zum Kühlschrank gehen die 5 selbst, um sich Weißwein und den Bacardi zur Cola zu holen, der Rotwein steht auf dem Tisch, und der Käse wird noch zum Frühstück am nächsten Tag reichen, der Räucherfisch allerdings nicht.

Wenn man das so macht, dann ist man nach diesem Tag richtig verheiratet.

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