Sonntag, 17. Juni 2012

Ruhestätte
Sie ist letzte Woche gestorben. Mit angeblich 70 Jahren ist sie, die immer so schön rund und angenehm pummelig war, bei einem Körpergewicht von 38 kg gestorben, nach über 20 Jahren mit Non-Hodgkin, ohne ein graues Haar, und sie wusste nicht, wann sie geboren worden war, sehr wahrscheinlich einige Jahre später als in ihrem Ausweis stand. Immer wieder hat sie davon geträumt, dass sie aus dem Kinderwagen gehoben wird und dass eine Frau in einem geblümten Kleid wie um ihr Leben schreit dabei. Der Nazi hat sie mitgenommen aus dem Osten, von dem ihre hohen Wangen und die Schlitzaugen erzählten statt ihrer selbst, als Sexspielzeug mitgenommen für sich und seine sadistische Frau, die dem Kind immer wieder die Haare anzündete, wenn sie ihm das Essen in den Hühnerstall brachte. Auch Weihnachten verbrachte das Mädchen im Stall, und so kam es, dass ihr Weihnachtsbaum immer das Schönste war und das Wichtigste, jedes Jahr. Sie fand einen Mann, der sie heiratete und gegen karrierefördernde Gefälligkeiten in Hotels nach Berlin schickte, wo sie tat, was man von ihr verlangte, und sie hat erzählt, dass manch einer hinterher in ihren Armen lange weinte. Als jener Mann nach einem Herzstillstand sieben Mal wiederbelebt wurde, bevor er ins Pflegeheim kam, wo er Bilderglas zu essen versuchte, Pfleger würgte und Toiletten aus der Verankerung riss und 15 Jahre nicht sterben konnte, obwohl man ihn ans Bett fesselte und ihm alles gab, was der Apothekenschrank und der Amtsrichter hergaben, da verlor sie ihre Sprache nicht ganz und ihr Herz auch nicht und war die beste Freundin meiner Zeit.

Der Ansprache der Pastorin bei der Beisetzung war zu entnehmen, dass ihre Töchter nichts wissen und ihre Mutter als Blumenliebhaberin und sanfte Literaturfreundin und Telefontante begraben haben und betrauern.

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