Dienstag, 7. August 2012

Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie auch nicht an
Einer schmunzelt in sich hinein, einer runzelt die Stirn, wenn ich rede, wenn ich antworte auf ihre Fragen, und sie haben viele. Schmunzeln oder Stirnrunzeln, wie überall. Mehrere meiner Papiere haben sie vor sich liegen, durchgearbeitet mit zweierlei Textmarkern, Fragenzeichen am Rand, Unterstreichungen die Menge. Er hätte hier noch eine Frage, sagt der Scharfe, warum und wie es dazu gekommen sei. Er habe auch eine zwei Jahre ältere Schwester, sagt der Weiche, und er spiele auch Geige, und sein Vater habe auch mal ein Angebot nach Konstanz gehabt, und er lächelt über den Tisch herüber. Wie war das für Sie, so ein Abitur zu machen, fragt der Scharfe wieder. Schwer? Er habe genau alles durchgelesen sagt er, er könne da keinen erkennbaren Plan ausmachen, was haben Sie sich denn damals vorgenommen für Ihr Leben oder als Ziel, also beruflich. Fragezeichen. Es gibt keinen Plan, sage ich. Es gab keinen, damals wie heute ist der Plan, irgendwo sein zu dürfen, wo keiner schmunzelt und keiner die Stirn runzelt, wenn ich rede, aber das sage ich nicht. Meine Ehe war ein schöner Tag, aber du mit deiner Krawatte, für dich ist das keine gute Geschichte, du Diplomzweifler, von so etwas wirst du niemals etwas erfahren.

Was hat Ihnen bei dieser Aufgabe geholfen, fragt er weiter, Sie haben das doch damals zum ersten Mal gemacht. Wie bitte, frage ich nach, um Zeit zu gewinnen. Schnell: was hat bei dieser Aufgabe geholfen? Was hat bei dieser Aufgabe geholfen? Geholfen? Bei dieser Aufgabe. Sag was. Äm. Ich sage äm. Moment noch. Was soll ich sagen? Ich weiß es nicht, sage ich. Ich weiß es nicht. Nichts. Aber irgendwie müssen Sie das doch gemacht haben, obwohl Sie bis dahin nichts damit zu tun hatten, sagt er. Ja, sage ich. Man hat mir eine Frage gestellt, und ich habe mich hingesetzt und Daten besorgt und ein bisschen gerechnet und dann habe ich die Frage beantwortet und dann kamen immer mehr Fragen dieser Art. Geholfen hat mir, dass man mir vertraut hat, dass ich eine Antwort finden würde. Dass man mich in Ruhe hat arbeiten lassen ein paar Tage, ohne nachzuhaken. Ah, sagt er. Später, wie es um Teamarbeit geht, sagt er, aber vorhin haben Sie gesagt, Sie arbeiten am liebsten alleine und ungestört. Nein, sage ich, ich habe gesagt, ich arbeite gut und gern und erfolgreich alleine und ungestört, aber ich kann auch im Team arbeiten, und ich tue es gerne. Englisch? Alive but asleep, sage ich.

Am Ende verpassen die beiden ihr Mittagessen, weil sie eine Stunde zu lang Fragen an mich haben. Macht nichts, sagt der Weiche an der Tür, ich habe mich sehr gefreut, und er lächelt mir in die Augen beim Händedruck. Sie hören von uns, wenn wir noch ein paar mehr Gespräche geführt haben.

 
Also, das mit dem Plan, bzw. dem Fehlen eines solchen, das hätten Sie ruhig sagen dürfen. Was wollen die immer mit einem Plan? Haben die selbst welche? Gehabt?
Mich machen solche Fragen immer wahnsinnig aggressiv. Weckt in mir die Lust zur Provokation. Ich neige dazu, solche Gespräche mit einem (unfreiwilligen) Verhör zu verwechseln, dabei ist es ja ein freiwilliges.

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die denken halt wie und für das unternehmen für das sie fragen. und so ein unternehmen, das muss ja einen plan haben, und wer dazu passen will, die auch, geschäftsplan, lebensplan, 5-jahres-plan.

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Ja, ich denke auch, die müssen sich in zwei Stunden ein Bild davon machen, ob der Kandidat in die offenstehenden Schubladen passt oder nicht. Die Kunst ist, ehrlich zu antworten und ihnen trotzdem etwas zu bieten, was in ihre Schubladen passt, möglichst in die, die gerade offen stehen.

@solminore: Ich glaube schon, dass so manch ein junger Mensch einen Plan hat und diesen dann auch verfolgt im Sinn einer klassischen Karriere. Ich neige dazu, in solchen Gesprächen die Lust zu Spielen sehr stark zu spüren, und das ist natürlich dem akuten Tagesplan nicht zuträglich. Ich glaube, die Fragen waren ernst und interessiert gemeint, und Herr Fabe bemerkt völlig richtig: So ein Personaler handelt im Auftrag seines Unternehmens, da darf kein Mist passieren, wenn er jemanden einstellt, von dem er nicht verstanden hat, wer das eigentlich ist.

@fabe: Danke. Dazu passen wollen, ja. Genau. Ohne zu lügen.

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Kein Kommentar. Aber wenn Sie das Unternehmen von vornherein doof finden, lieber gleich aufhören. ...

Nun doch ein Kommentar: Die Frage nach Handlungsabsichten halte ich für legitim. Auch wenn das jetzt hier nicht so populär ist.

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Ich bin mal gefragt worden, warum ich bei meinem Abiturschnitt denn nur so eine "brotlose Kunst" studiert hätte. Ich weiß bis heute nicht, was ich darauf hätte erwidern sollen. Ich glaube, man hätte mich nicht verstanden, egal wie ich es erklärt hätte. Da prallen manchmal Welten aufeinander.

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@cabman: Nehmen Sie das nicht so ernst. Meine Berichte sind nicht immer 1 zu 1. Verstehen?

@solminore: Das Fragezeichen, warum man seinen Ausweis (nicht seine Fähigkeiten) bisher nicht besser "vermarktet" habe, das flog da auch immer lustig um die Kaffeetassen herum. Der Weiche wusste was davon, dass die Kunst der Schmuck des menschlichen Daseins ist, das Mensch-Tier-Komma sozusagen, und warum brotlos "Kuchen" bedeuten kann, einmal in 10 Jahren. Den als Chef, das wäre nicht schlecht.

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Mir ist immer in genau dem Moment, in dem ich sowas gefragt wurde, ein Licht aufgegangen, das meinen Lebensweg plötzlich ganz neu beleuchtet und in eine gerade Linie gerückt hat.
Das war dann auch immer ganz schnell wieder weg, das Licht.

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Kommt vielleicht auf die Branche an. Ich habe immer in oder für eher planlose Firmen gearbeitet. (Jetzt die Gartenzwergfabrk natürlich ausgenommen, da ist alles super.) Da waren zum Teil auch so durchstrukturierte Personaler im (Vor-)Weg, die da ihre anstudierten Fragen aus dem Trainingscamp abfeuerten - egal, ob man nun Autos verkaufen oder Zwerge bemalen wollte. Eines der guten Gespräche hatte ich mit einem späteren großen Kopf der New Economy, der heute als "Guardian Angel" nach wie vor in kleine Start-ups investiert. Der wußte genau, was er brauchte, konnte aber tatsächlich auch das Interessante an Nebenwegen sehen. Wir kamen deshalb nicht zusammen, weil er mich anrief und meinte, er wolle noch mal nachhaken. Ob ich mich wirklich so verkaufen wolle, eigentlich wolle ich doch wonanders hin. Er hatte recht. (Und ich Hunger, aber egal, am Ende alles super.)

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@texas-jim: Als ich noch so ein Küken war wie du, da sah ich in keinem Moment meinen Lebensweg, weder rückwärts noch vorwärts. (Meinen Respekt für das gelegentliche Spotlight also.) Und genau das spüren die Schnüffelhasen in solchen Gesprächen durch das ganze elegante Parfüm hindurch. Heute habe ich ein Licht, das den ganzen Weg wunderbar schummerig-raffiniert beleuchtet, und von meinem Platz aus gibt es eine Perspektive, in der er genau kerzengerade aussieht, ich kann sogar sehen, wohin er führt. Für mich muss dieses Gerade ja nicht sein. Aber man ist ja nicht allein auf der Welt (zum Glück).

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"Guardian Angel" war super!

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@kid37: Ich wäre ja so gern weggekommen von diesen Großunternehmen. Es ist mein letzter solcher Gang in Röckchen und Schühchen und mein letztes Angebot, mich in die Schubladen hineinzuturnen. Die kleinen sagen: SIE haben hier doch nichts verloren, SIE müssen doch in einem Konzern arbeiten. Tja. Große Uhren gehen Tik-tak. Immer hin und her. Wenn das nicht klappt mit der vielen Kohle in dem Weltdings da, dann werde ich einfach Straßenbahnschaffner auf der Linie 9 hier oder Busfahrer, Senioren an den Gardasee kutschieren oder so. Ist auch schön.

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@nnier: Sn ds? Ich bin ja nicht so aus Ihrer Generation.

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Ach, nein, das Stück von "Masquerade" (1983), einem nie wirklich geheimen Geheimprojekt von Drafi Deutscher (dam dam!), das in der deutschen Version "Jenseits von Eden" (Nino de Angelo) sogar noch erfolgreicher war, wobei man das mal einem Italiener vorzeigen sollte: DE Angelo - haha!, war hier gar nicht so gemeint, bloß der kontextuelle Gebrauch durch Herrn kid war mal wieder meisterh super.

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Ah, danke. Bei der Gelegenheit habe ich off topic mal nachgeschaut, was ich schon lang nachschauen wollte: der heißt wirklich so. Drafi. Keine Abkürzung, kein Künstlername.

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Aber mit "Blue System" hatte er nichts am Hut.

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Und ich bin selber nicht so aus meiner Generation.

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Und ich dachte bislang, Diplomzweifler sei eigentlich ein ganz guter Beruf.

Ich bewundere Ihre Fähigkeit zum Mittanzen (ich schaffe das nie, ich komme nicht über meine Normierungsallergie hinweg).

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@ueblich: Nichts zu bewundern! Ich sehe das sportlich. Hic Latte-auf-circa-einfünfzig, hic salta. Hopp, Schwyz. Wäre doch gelacht. So ähnlich. (Und wenn ich es retten kann, in diesem Häuschen mit Gärtchen zu wohnen, dann bin ich bereit, es zu retten, und sei es durch Tanzen. Da lass ich mich sogar führen.)

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@kid37: Dass solche Sachen mal auf meinem Blog vorkommen würden - hätte ich nie gedacht. Ts. Fehlt nur noch Bernd Clüver.

@nnier: Ist das nicht toll?

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