Freitag, 14. Juni 2013
Nachtstück op. 89 Nr. 17
Er bittet sie, ihn abzusetzen bei nächster Gelegenheit und er steigt an einer Kreuzung aus. Ich weiß noch nicht, sagt er, und: danke für's Mitnehmen. Wendet sich zurück zu den Straßen der inneren Stadt, auf denen genug Licht ist, um die Schatten in den Asphalt zu zwingen. Die große Kirche steht beleuchtet, die Türen sind inzwischen verschlossen, die Podeste schon abgebaut, die Instrumente mit ihren Besitzern unterwegs in nachttischlampenheimelige Hotelzimmer, die Manuale der Orgel mit Samtläufern bedeckt, auf den Altar senkt sich der Staub der abgestellten Heizung. Still, alles still um den Heiland.
Geradeaus geht er, blickt nicht durch die beschlagenen Scheiben so genannter Brauhäuser und Locations, deren kreischiges Geschrei durch die nie ruhenden Türen dringt. Paare in schwach beleuchteten Bars, in Pubs, in Restaurants, gruppierte Youngsters, die noch nicht wissen wer mit wem, sie sehen ihn nicht an und er sie nicht. Halogenstrahlergequälte Kleiderpuppen mit Maschinenblicken, chronisch vorgeschobenen Hüften und plastikhart sich durch die Vêtements abzeichnenden hohlen Titten in den Fenstern des Kaufhauses. Sie sehen ihn nicht an und er sie nicht.
Er tritt ein in einen warmen Raum voller leiser Unterhaltungen, um den Durst des Wanderers hastig zu löschen, er wischt die Brillengläser nicht, im Stehen leert er das Glas und zahlt im Stehen, blind nur hinter seiner Brille, blind genug jedoch, um die Musik nicht zu hören. Beim Hinausgehen rötet ihm die Winterluft streifig in die immer schon verbogenen Ohren. Er zieht die Schultern höher.
Gerät in einen verlassenen ungezäunten Friedhof mit weit stehenden Steinen ohne Wege, ohne Ordnung. Auf die federnden, durch und durch nassen Stoppeln der sommers so schmutzigen Stadtwiese mitten im Lauten tritt er schwarze Spuren, ein unerklärtes Muster bis zu einem schulterhohen Stein, den er mit zwei Fingern prüft. Kalt. Mit seinen 62 Kilo lehnt er sich dagegen, der Stein wird ihn halten, das wird gehen. Kalt. Jahr. Hier. Noch. Wohl. Bett. Sehr. Four-letter-words. Tot hat nur drei, Grab schon wieder vier. Mond. Wolk. Himm. Ich hab fünf, sagt der Schuh, sei still, sagt die Nacht, ich auch, aber darüber spricht man nicht. Er schaut hoch, geblendet von Scheinwerfern, die sich doch abwenden, widerstandslos herumgehebelt von so einer einfachen Kurve. Weiter. Weiter. Auch darüber spricht man nicht.
Gerät vor die Tore in ein begehrtes Wohnviertel noch nahe der inneren Stadt, hier kann er die Schritte zählen, die es braucht, bis sein Schatten ihn wieder schräg von hinten überholt von Laterne zu Laterne im Rhythmus von Sonnenjahren. Dunkel ernsthafte Hauseingänge mit anziehend beleuchteten Klingelschildern, er möchte dringend "da Silva" heißen, und sie müsste eine Schwedin sein. Die Schwedin vom Walde; das Klingelschild weich beleuchtet von innen, er abends mit dem Schlüssel. Mit dem Handballen fährt er grob über die Augenbraue, dabei ist es der Hals, in dem es brennt und sägt. Tot, tot mit drei Buchstaben.
Weiter! Unter den Tauperlen der kalten Nacht eingesunkene Autos, die Schnauzen zu Boden genickt, schimmernd alle ohne Not. Noch fließen die Tränen des Morgens nicht den Lack hinab. Rot blendende Fußgängerampeln an unbefahrenen Kreuzungen, es schlafen die Menschen in ihren Betten. Ein Hund mit Halstuch und auf harten Krallen trabend, auch er mit der Schnauze am Boden, der Kälte Freund, mit Ziel und Zeit, so scheint es. Ein unbeirrtes Wesen, schau, er dreht sich um, er sieht im nach bis zur Häuserecke. Da Silva nennt er ihn. Da Silva!
Bald heißt das Viertel ärmlich und problematisch, die Müllcontainer stehen plötzlich draußen und ohne Knöterich um gezimmerte Remisen, die Hauseingänge unverborgen gähnend, Nummern aus Kunststoff, wenn beleuchtet überhaupt. Eine Ausfallstraße lässt ihn hinüber in ein ungesehenes Quartier, hell erleuchtet stechen zu vielen trüb beleuchtete Flure durch ein Spital, längs und lang durch dunklen Klotz. Hinter gekippten Fenstern wird gelitten und versorgt. Die unbegreifliche Miene jedes Oberarztes, der "bitte kommen Sie in mein Büro" und "bitte setzen Sie sich" sagen kann wie ein blöder Schaffner, dieses Gesicht, das sie alle pflegen wie geerbtes Silberbesteck, diese Visage schläft auch hier im Dienst. Die gepflasterte Rampe muss er hinauf, schnell!, Fresse polieren Fresse polieren, den ledernen Besucherstuhl mit den Beinen zuerst über den Schreibtisch stoßen, in diese Fresse, in diese polierte Fresse, da fahren die Türen auseinander, innen alles hell, weißer Flur, weiße Schilder, leer das Foyer, hinter der Pförtnerscheibe nur der Bildschirmschoner lebendig. Warme Luft strömt um seinen Hals, da winkt der Pförtner auch schon, winkt ihn heran, "bitte setzen Sie sich" will der sagen, der steht schon auf von seinem Stuhl, "bitte kommen Sie in mein Büro", die Hand hat der schon nach der Glastür seines lächerlichen Kabuffs ausgestreckt; da dreht er um und stolpert und fällt doch nicht, die Rampe hinab, ins Kalte. Hinter ihm raunt es "rein" und "raus", es sind die Türen, die sich schließen auf ihren geölten Schienen, es ist ihre Pflicht.
Er fällt auf einen Sessel aus Drahtgeflecht, das Gesicht dem Himmel zu.
Später erwacht er vom moderat hallenden Tack-tack seiner Schritte, der Gurt der Tasche drückt auf sein Schlüsselbein, er geht und biegt ab und biegt ab und geht, rechts links, die Schleifen früher Freuden streunen um den Mond den dunklen, die Ballen setzt er knapp vor die feuchten Ritzen zwischen den Gehwegplatten, immer genau eine zwischen zweien, immer eine Ritze zwischen zwei Platten, so hat Gott sie erschaffen, und er setzt seine Füße genau passend, die Wölbung immer genau über einer Ritze. Eine halbgute Tat jeder Schritt, genau und grau, und keiner wird singen davon. Blechhühner nicken in seinem Nacken wie Sekunden, die helle Stimme der Tage hat er in der Tasche, nicht hungrig doch verwischt all Blum zu Falten zwar. So sehr die Nacht wie sie. Und er blickt aus trockenen Augen hinauf zu Schlafzimmern und Küchenfenstern, dunkel fast alle, so dunkel und matt wie ein schmerzendes Sternum.
Mit dem bald blauenden Morgenhimmel erreicht er eine Haltestelle mitten im Tau, 6 Doppelpunkt 17 steht auf der Fahrkarte, die der Automat ihm schenkt, und er steigt ein in den Zug, der bald kommen wird.
Geradeaus geht er, blickt nicht durch die beschlagenen Scheiben so genannter Brauhäuser und Locations, deren kreischiges Geschrei durch die nie ruhenden Türen dringt. Paare in schwach beleuchteten Bars, in Pubs, in Restaurants, gruppierte Youngsters, die noch nicht wissen wer mit wem, sie sehen ihn nicht an und er sie nicht. Halogenstrahlergequälte Kleiderpuppen mit Maschinenblicken, chronisch vorgeschobenen Hüften und plastikhart sich durch die Vêtements abzeichnenden hohlen Titten in den Fenstern des Kaufhauses. Sie sehen ihn nicht an und er sie nicht.
Er tritt ein in einen warmen Raum voller leiser Unterhaltungen, um den Durst des Wanderers hastig zu löschen, er wischt die Brillengläser nicht, im Stehen leert er das Glas und zahlt im Stehen, blind nur hinter seiner Brille, blind genug jedoch, um die Musik nicht zu hören. Beim Hinausgehen rötet ihm die Winterluft streifig in die immer schon verbogenen Ohren. Er zieht die Schultern höher.
Gerät in einen verlassenen ungezäunten Friedhof mit weit stehenden Steinen ohne Wege, ohne Ordnung. Auf die federnden, durch und durch nassen Stoppeln der sommers so schmutzigen Stadtwiese mitten im Lauten tritt er schwarze Spuren, ein unerklärtes Muster bis zu einem schulterhohen Stein, den er mit zwei Fingern prüft. Kalt. Mit seinen 62 Kilo lehnt er sich dagegen, der Stein wird ihn halten, das wird gehen. Kalt. Jahr. Hier. Noch. Wohl. Bett. Sehr. Four-letter-words. Tot hat nur drei, Grab schon wieder vier. Mond. Wolk. Himm. Ich hab fünf, sagt der Schuh, sei still, sagt die Nacht, ich auch, aber darüber spricht man nicht. Er schaut hoch, geblendet von Scheinwerfern, die sich doch abwenden, widerstandslos herumgehebelt von so einer einfachen Kurve. Weiter. Weiter. Auch darüber spricht man nicht.
Gerät vor die Tore in ein begehrtes Wohnviertel noch nahe der inneren Stadt, hier kann er die Schritte zählen, die es braucht, bis sein Schatten ihn wieder schräg von hinten überholt von Laterne zu Laterne im Rhythmus von Sonnenjahren. Dunkel ernsthafte Hauseingänge mit anziehend beleuchteten Klingelschildern, er möchte dringend "da Silva" heißen, und sie müsste eine Schwedin sein. Die Schwedin vom Walde; das Klingelschild weich beleuchtet von innen, er abends mit dem Schlüssel. Mit dem Handballen fährt er grob über die Augenbraue, dabei ist es der Hals, in dem es brennt und sägt. Tot, tot mit drei Buchstaben.
Weiter! Unter den Tauperlen der kalten Nacht eingesunkene Autos, die Schnauzen zu Boden genickt, schimmernd alle ohne Not. Noch fließen die Tränen des Morgens nicht den Lack hinab. Rot blendende Fußgängerampeln an unbefahrenen Kreuzungen, es schlafen die Menschen in ihren Betten. Ein Hund mit Halstuch und auf harten Krallen trabend, auch er mit der Schnauze am Boden, der Kälte Freund, mit Ziel und Zeit, so scheint es. Ein unbeirrtes Wesen, schau, er dreht sich um, er sieht im nach bis zur Häuserecke. Da Silva nennt er ihn. Da Silva!
Bald heißt das Viertel ärmlich und problematisch, die Müllcontainer stehen plötzlich draußen und ohne Knöterich um gezimmerte Remisen, die Hauseingänge unverborgen gähnend, Nummern aus Kunststoff, wenn beleuchtet überhaupt. Eine Ausfallstraße lässt ihn hinüber in ein ungesehenes Quartier, hell erleuchtet stechen zu vielen trüb beleuchtete Flure durch ein Spital, längs und lang durch dunklen Klotz. Hinter gekippten Fenstern wird gelitten und versorgt. Die unbegreifliche Miene jedes Oberarztes, der "bitte kommen Sie in mein Büro" und "bitte setzen Sie sich" sagen kann wie ein blöder Schaffner, dieses Gesicht, das sie alle pflegen wie geerbtes Silberbesteck, diese Visage schläft auch hier im Dienst. Die gepflasterte Rampe muss er hinauf, schnell!, Fresse polieren Fresse polieren, den ledernen Besucherstuhl mit den Beinen zuerst über den Schreibtisch stoßen, in diese Fresse, in diese polierte Fresse, da fahren die Türen auseinander, innen alles hell, weißer Flur, weiße Schilder, leer das Foyer, hinter der Pförtnerscheibe nur der Bildschirmschoner lebendig. Warme Luft strömt um seinen Hals, da winkt der Pförtner auch schon, winkt ihn heran, "bitte setzen Sie sich" will der sagen, der steht schon auf von seinem Stuhl, "bitte kommen Sie in mein Büro", die Hand hat der schon nach der Glastür seines lächerlichen Kabuffs ausgestreckt; da dreht er um und stolpert und fällt doch nicht, die Rampe hinab, ins Kalte. Hinter ihm raunt es "rein" und "raus", es sind die Türen, die sich schließen auf ihren geölten Schienen, es ist ihre Pflicht.
Er fällt auf einen Sessel aus Drahtgeflecht, das Gesicht dem Himmel zu.
Später erwacht er vom moderat hallenden Tack-tack seiner Schritte, der Gurt der Tasche drückt auf sein Schlüsselbein, er geht und biegt ab und biegt ab und geht, rechts links, die Schleifen früher Freuden streunen um den Mond den dunklen, die Ballen setzt er knapp vor die feuchten Ritzen zwischen den Gehwegplatten, immer genau eine zwischen zweien, immer eine Ritze zwischen zwei Platten, so hat Gott sie erschaffen, und er setzt seine Füße genau passend, die Wölbung immer genau über einer Ritze. Eine halbgute Tat jeder Schritt, genau und grau, und keiner wird singen davon. Blechhühner nicken in seinem Nacken wie Sekunden, die helle Stimme der Tage hat er in der Tasche, nicht hungrig doch verwischt all Blum zu Falten zwar. So sehr die Nacht wie sie. Und er blickt aus trockenen Augen hinauf zu Schlafzimmern und Küchenfenstern, dunkel fast alle, so dunkel und matt wie ein schmerzendes Sternum.
Mit dem bald blauenden Morgenhimmel erreicht er eine Haltestelle mitten im Tau, 6 Doppelpunkt 17 steht auf der Fahrkarte, die der Automat ihm schenkt, und er steigt ein in den Zug, der bald kommen wird.
[virtus]