Vesper

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Sonntag, 1. Mai 2011
Die grüne Seite
Um die Theorie zu untermauern, dass der Mann im Bett grundsätzlich und mehrheitlich auf der Seite liegt, auf der das Lenkrad ist (auch wenn das Paar nicht motorisiert ist), wäre es hilfreich zu wissen, ob dies beispielsweise in Großbritannien eher die rechte Seite ist. Dass der Herzog von Cambrigde bei seiner Trauung rechts stand, dürfte der zuständigen Wissenschaft ein hilfreiches Indiz sein.

Donnerstag, 28. April 2011
Ach ich grüß dich tausendmal


Also, ja. Wie ist es da. Schön. Schön leer. Auto auf einem geschotterten leeren Platz hinter einem verlassenen Bahnhof abstellen (ist ein Umsteigebahnhof stellt sich später heraus, das sieht man an den zwei Gleisen) und losgehen. Der Morgen ist mild, der Teich spiegelglatt, und im Frühtau fallen die Ohrwürmer der Kinderzeit sofort übereinander her. Komm doch, lieber Frühling, willkommen hier in unserm Tal. Die Lerche schwingt sich in die Luft, fallera. Danke für diesen guten Morgen! Ich geh durch einen grasgrühünehen Wald, und dann alles einen Halbton höher.

Über Wiesen und Höhen geht es voran, das ganze scheint ein Bilderbuch für sehr artige Kinder zu sein, hier trinkt ein Wanderer aus einem frisch vom Berg herunterplätschernden Bächlein, dort hoppelt ein Hase, der hat bestimmt gerade dem Fuchs guten Morgen gesagt, und im Hintergrund dampft ein Bähnchen mit Tender und drei Wagen durch die Landschaft. Horch, von fern ein leiser Harfenton - meint man. Wenig später wird es dann ein aufdringliches Biologiebuch von rechts und von links. Wegerich und Plagerich, Leberblümchen, Rindermöschen, Löwenhälmchen und Maigrünchen, Gimpel, Stelzen, Felchen, Schleien. Dauernd erschrickt man vor irgendwas, entweder tritt man fast auf eine grüne Schlange, die auf dem warmen Weg liegt, oder auf etwas, was eine Eule ausgekotzt hat, oder auf einen von fünfundzwanzig Lurchi-Salamandern, die sich nicht beeilen, da wegzukommen. Minischnecken, Riesenschnecken, gestreifte Schnecken, ein Reh steht plötzlich quer mitten im Weg, oder neben einem flattert es ganz laut aus einem haushohen Misthaufen direkt am Weg, das ist dann ein Milan, der sofort den Kreis macht, ohne viel Flügel zu gebrauchen. Man glaube nicht, dass diese Raubvögel da kreisen, um Mäuse zu fangen. Nein. Nicht viel tun und Spaß haben, Ostdeutschland eben. Zwischendurch fährt einem Henriette Bimmelbahn fast über die Zehen. Und die Lerchen, die sollten eigentlich Lärmchen heißen, kaum hat man eine hinter sich, zwiebelt die nächste überm Feld rum, und sonst ist ja nichts zu hören.

Woanders muss man früh dran sein, um der Masse vorneweg zu laufen, aber hier spielt das keine Rolle, hier gibt es keine Masse, hier gibt es gar niemanden. Kein Mensch unterwegs, keiner sitzt auf den verwitterten Bänken, keiner kommt entgegen, den ganzen Tag nicht. Gegen Mittag wird den Füßen ein kleiner Umweg durch eine sogenannte "Stadt" zugemutet auf der Suche nach einer Tasse Kaffee oder vielmehr einer Lokalität, jedoch die beiden Gaststätten mit respektablen Namen sind verlassen, hinter einer der Scheiben hängt eine vergilbte Ankündigung des Bezirksamts Prenzlauer Berg "zu Berlin" aus dem Jahr 2006, damals hat man die Immobilie für 3000,- EUR angeboten und keiner hat sie gekauft. Auch hier, in der "Stadt", kein Mensch zu sehen, dem man eine einfache Frage stellen könnte. Am Ortsrand dann, zurück auf dem Weg, ist am Bahnhof ein "Geöffnet"-Schild aufgestellt. Andernorts würde, wo sich an einem sonnigen Ostermontag in der hohen Mittagszeit mindestens vier Wanderwege kreuzen, der Eingang zu einem kleinen steinigen Vorgarten mit den 750-Karätern der Vollradfahrer und ihrer weiblichen Entourage in Caprihosen und Funktionsshirts zugeparkt sein, hier aber sitzen unter drei weißen Sonnenschirmen ein paar Omis in Rüschenblusen auf wackeligen Stühlen und essen Schnitzel mit ihrer Familie. Sie schauen nicht auf, wenn jemand hinzutritt und grüßt, die Wirtin scheint den neuen Gast nicht bemerkt zu haben, oder doch, denn wenn sie an den Tisch tritt und das Kinn schnell nach vorne bewegt, dann muss man bestellen, es ist die einzige Gelegenheit seit dem frühen Morgen und die letzte bis zum Abend. Die Tasse Kaffee wird mit dem Kommentar "eins fünfzisch" serviert, ein versteckter Hinweis darauf, dass die einheimische Bevölkerung sprechen kann.

Kein McDonald's, kein Biergarten, kein Seecafé nirgendwo, auch abends im Hotel in einem einst ein Nobelbad gewesenen Nest gibt's keine anständigen Pommes, man muss da Forellencarpaccio und Spargel mit einer dicken gelben Soße essen (keine Majo, irgendwas anderes), und zum Frühstück gibt's schon wieder Spargel, diesmal unreifen, grünen, und nicht einmal gekocht, sondern mit Tomaten und noch irgendeinem Salat und komischen kleinen Nüssen dabei. Das schnieke Hotelschwimmbad ist auch nicht toll, nichtmal einen Sprungturm hat es, und wenn man eine gepflegte Arschbombe macht, schauen die alten Damen im Becken ganz komisch. Überhaupt, morgens tut einem das Herz weh, abends stattdessen die Füße, das ist alles kein Spaß, und das Handy hat auch kein Netz. Kaffee: eins siebzig.

An einem anderen Tag geht es nach Kletterei über Wurzelwege und durch Felstunnel immer am Fluss entlang, mal Linkskurve, mal Rechtskurve, 13 Kilometer, eine Aue wie aus einem Märchenbuch, das keinen Ausgang hat, und wieder kein Mensch. Dafür Burgen auch links und rechts, und am Ende ein richtiges Schloss. Wenn man in der sehr hübschen Schänke eines sehr hübschen anderen Schlosses (Kaffee: eins neunzig) dann endlich einen sprechenden Menschen an den Tisch oben an der hohen Grabenmauer kommen sieht, dann hat man den ganz allein für sich und er erzählt ausführlich und angenehm fließend von sämtlichen geologischen Formationen, von Mesozän und Pleistobrom, von Kaisern, Töchtern, Grafen und Fürsten, und vom Sozialismus und seinen Wissenschaftlern, die so manches gerettet haben vor denen, die sonst überall zugriffen, von Ascaniern, Preußen und von Anhaltinern. Warum das dort Anhalt heißt, ist jetzt auch klar: man müsste dauernd überall anhalten, da gibt es so viele Gärten und gepflasterte Plätze und Jagdschlösser und echte Ritterburgen und eine Kirche, die ist über 1000 Jahre alt, und keiner hat da irgendwas dran gemacht, außer ein bisschen hier verputzt und dort gekehrt, und weil 1000 so viele Os hat, heißt sie "ottonisch", und nirgends steht ein abschreckender Reisebus davor. Aber als Wanderer hat man keine Zeit und keine Füße, noch zwei Kilometer auf irgendeinen Berg hinauf oder in irgendeinem Schlossgarten im Kreis zu laufen, und das ist gut so, denn sonst müsste man den ganzen alten Scheiß auch noch anschauen, neben den ganzen Wäldern und Wiesen und Felsen.

Übrigens haben sie dort schon siebenhundertnochwas das Silicon Valley erfunden, aber wenn man es natürlich nach kaum 700 Jahren kaputt gehen lässt, dann kommen die Amis und klauen die Idee und machen es besser. Immerhin den NASA gibt es noch, den haben sie behalten, den Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt.


Fazit: Kann man machen. Ist aber ein Geheimtipp, und sollte es bleiben.

Sonntag, 24. April 2011
Selketalstieg
Klappe halten und einen Schritt tun, immer einen, tagelang und mit leichtem Gepäck. Die Kette neu fädeln, ein paar Perlen tauschen, ein oder zwei in den Fluss werfen oder einfach liegenlassen neben einem schönen Stein. Allem gut sein, und in fremden Betten schlafen.
Stock und Hut steh'n ihm gut, ist ganz wohlgemut.

Dienstag, 19. April 2011
Wandelmond
Die dummen Amseldinger fallen wieder aus den Nestern, und das eigene Nest lädt noch immer nicht ein und lockt doch, täglich, langsam, es soll nicht zu schnell fertig werden, wann lässt sich schon alles, alles so nach Wunsch und Belieben machen? Klappe halten und immer einen Schritt tun, einen nur, und so nenne ich das Jahr: Klappe und Schritt. Das Rezept für alle Notlagen, der Sauerteig der schweren Tage, der Staubzucker der leichten: Klappe und Schritt. Sogar die Verbundenen lassen sich am heimlichen Tanz erkennen, der zur Musik passt, die Verbundene eben hören, den ganzen Tag, und sie tanzen den kleinsten Tanz der Welt gemeinsam: Klappe und Schritt, ein ernster Tanz.

Ein Osterkranz liegt auf den Tisch aus Hefeteig mit bunten Zuckereiern, geschenkt, geschenkt in einer großen Konditoreitüte, das alte Zeichen: ich bring dir etwas zu essen, selbst erlegt.

Morgens Anorak, Handschuhe, hellweiß gegen die schon hoch stehende Sonne gleißt der Nebel über den Pferden, hellweiß liegt der Reif in den Schatten, nachmittags barfuß im Leinenkleid - nicht unbeständig soll er heißen, sondern freigiebig, großzügig, der April.

Mein Gruß küsst dich im Nacken.

Sonntag, 10. April 2011
Sonntag und Kaulquappen


Endlich finden die Drähte, die aus dem Herzen hängen so stachelig, sinnvolle Verwendung. Der schöne Mann muss warten.

Freitag, 8. April 2011
Kyrie eleison
Ich: Bitte benimm dich dort wie ein Sexta-Kind. Benimm dich einfach.

Sie: Was erwartest du von mir?! Ich bin kein braves Kind!

Ich: *schluck*

Freitag, 1. April 2011
Kein Besuch: Der Schlitzer
Es kommt Elektrik zum Vorschein bestehend aus bröseligen Kabeln, die sich mit einem Ruck mit den Händen zerreißen lassen. Die wunderschönen 50er-Jahre-Tellerlichtschalter können da lange jammern: neue Kabel müssen her, die dick sind wie der kleine Finger des Bauherrn. Der zunächst favorisierte Ansatz, die grauen Schnüre mittels homöopathisch auf die Länge des Firsts fokussierter Hoffnung und zirkulierend angewandter Astrophysik hinter den Putz zu verbringen, ist gescheitert, und so tritt Plan B in Kraft in Person des Schlitzers. Er rutscht abwechselnd im Schneidersitz und mit nur einem untergeschlagenen Bein rückwärts wie ein Säugling, immer an der Wand entlang und hinterlässt mit dem nicht besonders breiten, aber ansehnlichen Hintern in einer malerisch (Wortspiel! Passend und poetisch, wie Wortspiele eben sein müssen, wenn sie schon nicht lustig sind.) verzierten Hose eine wie mit dem Richteisen gezogene Spur auf dem eigentlich schon entstaubt geglaubten Fußboden. Keine Maschine hat er dabei, nur mit Stechbeitel, Hammer und Schraubenzieher jongliert er wie ein leider dort nicht engagierter marokkanischer Cirque-du-Soleil-Künstler. "Das ist einfach die beste Arbeit, davon wissen die Bürolackgiraffen natürlich nichts" scheint er beständig vor sich hinzumurmeln, aber vielleicht repetiert er auch Händelarien und hat seine Stimmbänder nicht richtig im Griff dabei wegen des vielen Staubs, man kann ihn nicht gut verstehen hinter der anfänglich ja chirurgisch weiß gewesenen Staubmaske, die nur die großen Augen hinter einer lupendicken Brille freilässt. Ohrstöpsel möchte man ihm anbieten, denn es hallt gewalltig (sic!) in der kleinen Halle, aber es sind nur gebrauchte im Bohrmaschinenetui, und so macht er Kehrpausen und Rausguckpausen und Betrachtungspausen, so oft er kann, richtig schnell ist er nicht, wenn eine Bürogackliraffe so arbeiten würde, da würde der Chef ihr Beine machen, aber der Schlitzer hat ja Beine, schöne, wie sich herausstellt als er für eine ausgiebige Mittagspause alle Klamotten auszieht, bis auf den Slip. Toll, und dann zieht er saubere Kleider an, nur für diese lächerliche Mittagspause, das ist auch toll. Ob er duschen könnte? Klar, bittesehr, die frischen Handtücher sind ja nicht in Kisten, sondern in der Kommode, hinten im Gästezimmer. Danach ist er froh um die dampfende Tasse Kaffee mit Milch und Zucker, er scheint die einfachen Dinge irgendwie zu schätzen, jedenfalls lässt er sich seinen Hunger nach mehr nicht anmerken.

Der Schlitzer bin ich natürlich selbst, und als ich heute morgen diese kleine galoppierende Maus im Garten hin- und herflitzen sah, mit riesigen erfrorenen Halmen zehnmal so lang wie sie selbst zwischen den Zähnen und allerhand sonstiger Biomasse immer zwischen dem großen Rosen- und Grasdickicht und ihrem Hauseingang in der Böschung, da wusste ich, dass ich sie nicht vergiften kann, heute jedenfalls nicht.

Freitag, 18. März 2011
Essenzen V
Ernst

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Dienstag, 15. März 2011
Besuch: Die Dachdecker
Jeden Tag wird es ein bisschen schöner ab jetzt. Noch gibt es jeden Tag neuen Staub, jeden Tag fehlt etwas anderes, einmal ein Stecheisen, einmal eine Kehrgarnitur, die sie einpacken, wenn sie saubermachen. Solange keiner das Herz mitnimmt, soll's recht sein. Jeden Tag um sieben kommt Besuch, heute der Dachdecker.
Daniel: der Chef, jung und kräftig, und tut immer so handwerker, aber irgendwas anderes ist da noch.
Diana: seine rechte Hand. Lila Rolli, lederbesetzte Cordhose, die Ruhe selbst. Daniel hat sie einst ausgebildet, und sie arbeitet ohne Anweisung, montiert, klettert, schraubt, sägt, rüttelt, kleine Handschuhe hat sie an und tritt leise auf und sie nimmt Milch und Zucker in den Kaffee.
Dietmar: Groß und dick, rotbackig, freundlich wie ein Bernhardiner und ebenso dezent. Lange sitzt er mit den Beinen an der frischen Luft in irgendeiner Lücke und füllt sie aus und feilt und schnitzt im Schoß.
Der Zauber der drei liegt in ihrem Schweigen und ihrer Höflichkeit, auch untereinander. Jeder tut seines, sie kennen einander, sie kennen ihr überschaubares Handwerkszeug, sie kennen so etwas wie Rhythmus.
Das schönste Wort: Richteisen. Nicht Wasserwaage: Richteisen. Ein Sprungturm ließe sich damit justieren. Spielzeug ist für Heimwerker.

Die letzte Stunde vor der Dämmerung gehört täglich der Leiter, der Lasurrolle und den Balken, den dunklen, die alles halten und die später der Spazierweg für die verlangsamten Blicke des Abends und die Spinnen der Sonnentage sein werden. Dunkel, ruhig, kräftig und sicher, und keiner wie der andere.

Näher am Himmel wird das Bett stehen, und wie schön wird das sein, wie schön.

Samstag, 12. März 2011
Schön steiff
Kuscheltier gekauft. Schlimm. Aber nötig.

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