... später
Dienstag, 15. Juli 2008
auf Stelzen
[Vesper]
Der Doktor
Er spricht schnell und in Details, aber erst, wenn das Leid zu Ende geklagt ist, das da auf dem Besucherstuhl Platz genommen hat, die tenorale Färbung hört man durch die graublau lackierten Türen der ehemals herrschaftlichen Altbauwohnung hindurch. Von einem Behandlungszimmer zum nächsten eilt er, aber nur zwischen ihnen, denn in den Zimmern hat er Zeit. Geduldig wartet die Gemeinde, Terminverabredungen sind dazu da, die Praxis zu betreten zu einem gewissen Zeitpunkt, und je später der Aufruf kommt, der zunächst nur einen Platz im Flur bedeutet (ein veraltetes Merianheft und ein paar anthroposophisch farblose Kinderbücher gibt es dort), desto besser, weiß man, hat man's heute wieder: er hat Zeit.
Er fordert entschieden auf, zu zeigen und zu sprechen, macht sich geschwind und doch gründlich ein Bild des gesamten Biotops, schaut in die Augen, hört auf das Beben, verschreibt Verschreibungspflichtiges und verordnet Verschreibungsunmögliches, auch nichts. Er tut nur, wovon er etwas versteht, das ist sein lächelndes Credo, wenn er an einen Kollegen überweist ohne Fackeln.
Keine Chance dem Drama und doch alles Recht dem Leiden, mit dem er sich unterhält im Ernst. Getröstet und versorgt tritt der Patient ins Freie.
Er fordert entschieden auf, zu zeigen und zu sprechen, macht sich geschwind und doch gründlich ein Bild des gesamten Biotops, schaut in die Augen, hört auf das Beben, verschreibt Verschreibungspflichtiges und verordnet Verschreibungsunmögliches, auch nichts. Er tut nur, wovon er etwas versteht, das ist sein lächelndes Credo, wenn er an einen Kollegen überweist ohne Fackeln.
Keine Chance dem Drama und doch alles Recht dem Leiden, mit dem er sich unterhält im Ernst. Getröstet und versorgt tritt der Patient ins Freie.
[Vesper]
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Die Feste der Vielen
Die Feste der Vielen, die Sommerfeste, Kinderfeste, Altstadtfeste, Musikfeste allenthalben lassen sich begreifen als eine bewundernswerte logistische Leistung vieler Hand in Hand arbeitender Fachleute. Die Kuratoren bemühen sich um eine der künstlerischen Grundidee in allen Facetten gerecht werdenden Einrichtung der Stände und der Bühnen und der zahlreichen nur scheinbar intuitiv handelnden Personen (perfekt gecastet für jede einzelne Exposition), und vollbringen für jede einzelne Kopie des Werks eine Meisterleistung, was Stil- und Werktreue in Bezug auf die Erstausgabe der naturgemäß komplexen Installation angeht. Der Katalog, der wie gewöhnlich wertvolle Information zum Verständnis und weiteren Beschäftigung mit der Werkidee liefern könnte, scheint leider vergriffen.
[Non]
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Sonntag, 13. Juli 2008
Aufräumen
Das Negativ eines schönen Schwarzweißfotos: Die gleichen Dinge weiß es wie der Abzug, dessen Ahn es ist und den es dennoch überdauert, alles da, alles wahr; gespenstisch blecken schwarze Zähne, obszön und übersteuert alles, nichts zu erkennen von dem, was die Erinnerung behalten hat, auch gegen das helle Licht gehalten nicht.
[Vesper]
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Samstag, 12. Juli 2008
Kartoffelpuffer des Grauens
Die mürbe Struktur der rohen Frucht wird schabend zerquetscht an scharfen Messern, weder Opfern noch Täter ist Schonung gegönnt. Was von der Zwiebel nicht gerieben werden kann, das zerteilt das Wiegemesser bis zur Unkenntlichkeit. Eine scharf abgetrennte Knöchelkuppe macht, dass Blut hineintropft in die frische Masse, die zudem gewürzt wird von den Tränen des gequälten Kochs. Ein ganzes ungewordenes Huhn schleimt sich hinzu, ohne Gnade vertrieben aus seiner mit splitterndem Geräusch zerschlagenen Zuflucht. Mehl stäubt neblig über suppig grauem Brei, und alles endet in siedendem Öl, das spritzend mit Verbrennung droht.
Lecker.
Lecker.
[Terz]
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Wolfgang M. erzählt eine Geschichte
A proposito, weißt du schon die Historie, die hier vorgegangen ist? Nun ich will sie dir erzählen. wir giengen heute von Gr. firmian weg um nach Haus zu gehen, und als wir in unsre Gassen kamen, so machten wir unsere Hausthüre auf und was meinst du wol, daß sich zugetragen? Wir gingen hinein.
[Terz]
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Freitag, 11. Juli 2008
zudenken
abdanken
entbrennen
abdanken
entbrennen
[Vesper]
Erster Ferientag
Die Terrassentür stand die ganze Nacht offen.
Die Straße ist gesperrt, aufgerissen; frische Adern liegen bereit, die sandigen Wunden zu füllen.
Vögel fallen sterbend aus den Nestern.
Kannst gehen, Mama.
Die Straße ist gesperrt, aufgerissen; frische Adern liegen bereit, die sandigen Wunden zu füllen.
Vögel fallen sterbend aus den Nestern.
Kannst gehen, Mama.
[Vesper]
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Montag, 7. Juli 2008
Blame it on my heart
Präludium und Fuge gis-moll, BWV 887
Saftig hebt es an, das Präludium, und breitet sein Material gleich über einem kleinen wohldosierten Orgelpunkt aus. Hier bin ich, sagt das Gis, und ich weiche nicht. Sinfonisch kommen die schaukelnden Brechungen der Quinten und Sexten daher und schaffen eine Atmosphäre von ungebändigter Energie und einer nicht enden könnenden Kraft. Gehende Bässe und die chromatische Führung der gebrochenen Harmonien in figurativen Sprüngen erzeugen im Verein mit dem betriebsam sich durch die Tastatur ergehenden Diskant einen unwiderstehliche Bewegung des gesamten Raumes und der Zeit noch dazu. Wie tief es hinabgeht im zweiten Teil, der nicht nur die obligatorische Unterquinte berührt, sondern sogar eine weitere Quinte hinabsteigt, ins freundlich-milde A-Dur, ein Akt der wohltuenden Herablassung in schlichtere Gefilde. Der größte Schatz dieses Stückes liegt aber in seiner indefiniten emotionalen Farbe begründet. Man mag Wut darin erkennen; es lässt sich als Ausdruck einer rauschenden, unbenennbaren Freude lesen und spielen, Traurigkeit zum Tode ebenso wie Trost zum Leben lassen sich heraushören und hineinlegen. Wer liebt, wird in diesem Stück lieben, wer hasst, kann seinen ganzen Hass in diesen Tönen wiederfinden. Wer leer und fühllos ist, wird großzügig versorgt mit Farben und Geschmack und Materie für alle Zwecke. Fragen und Antworten, die nicht zueinanderpassen wollen und dennoch valide Bezüge zueinander haben, hat der Summus Genius Musicae hier in die Tasten gezaubert, man muss nur an der Grafik entlang sich bewegen und der reichen Beschilderung vertrauensvoll folgen. Keine picardische Terz befreit allerdings von Ernst und Wesentlichkeit, ein einzelner Ton, das bittere Gis alleine versammelt am Ende alle Motion, die gute und die leidvolle. Einmal volltanken auf vier Seiten. Oder Gas geben, oder beides.
Die Fuge: eine Doppelfuge, gnädig in nur drei Stimmen gesetzt. Das erste Thema so diatonisch wie es nur sein kann, sechs Töne bleiben unbehelligt sogar vom alterierten Leitton. Sekundschritte und Oktavspannung friedlich nebeneinander, und wie zum besseren Verstehen der eigentlich schon einfachen Verhältnisse (auch für dich ist das Wort, einfacher Geist, du sollst nicht verloren sein) wird alles zweimal gesagt, ohne Schnörkel einfach einen Ton höher. Fehlende rhythmische Gliederung als ein Fanal der Bescheidenheit und einer geradezu evangelischen Askese - in der Ruhe liegt die Kraft. Sechs Töne, eine Länge: wie Backsteine reichen sie aus für die Errichtung eines großen Gebäudes, man muss nur genug davon nehmen. Der Sechsachtel-Takt bietet aber dann im Kontrasubjekt doch die Bühne für eine tänzerische Note, die fein oder kräftiger dosiert werden kann je nach gewählter Zackigkeit in der Phrasierung - alle Möglichkeiten auch hier, der ganzen Angelegenheit einen heiteren oder auch einen schwer lastenden Charakter zu verpassen. Das zweite Thema dann natürlich rhythmisch leicht bewegt, freilich ohne das eng gefasste metrische Repertoire des bis dahin harmonisch weit entwickelten Stücks zu sprengen, ein Backstein bleibt ein Backstein. Voll chromatisch durchmisst dieses zweite Thema den Raum einer engen Quarte, mit einem Trillerchen am Ende fast verwegen geschmückt: kleines buntes Fenster in der Apsis einer schlichten Kathedrale. Der neapolitanische Sextakkord (A-Dur, wir kennen die tröstliche Farbe in dieser strengen Welt bereits) lugt mit schiefgelegtem Kopf immer wieder hinter den meterdicken Säulen der strengen Tonlage hervor und weist mit seinem freundlichen Gemüt den Weg über wild mäanderndes, golden blinkendes Mosaik von Anfang an, denn er kennt sich aus im Vertikal-Akkordischen und im Chromatischen gleichermaßen. Nicht unpassend und doch überraschend der übermäßige Sextakkord gegen Ende, unwiderstehlich entwickelt aus unverhandelbaren Linien, ein übermäßiger Sextakkord, wie er später von Mozart vielleicht nicht erfunden, aber salonfähig gemacht werden wird - hier gibt es ihn schon, aber er ist ein Geheimtipp, und nur wer genau aufpasst und die Stelle kennt, wird ihn finden, der in keinem Reiseführer verzeichnet ist. Am Ende führt der Weg zurück zum Ausgang, und ohne Alteration wird es erreicht, das einsame Gis, das sich nicht fürchtet, niemals.
Fünf Kreuze natürlich, nur die fünf können das.
Die Fuge: eine Doppelfuge, gnädig in nur drei Stimmen gesetzt. Das erste Thema so diatonisch wie es nur sein kann, sechs Töne bleiben unbehelligt sogar vom alterierten Leitton. Sekundschritte und Oktavspannung friedlich nebeneinander, und wie zum besseren Verstehen der eigentlich schon einfachen Verhältnisse (auch für dich ist das Wort, einfacher Geist, du sollst nicht verloren sein) wird alles zweimal gesagt, ohne Schnörkel einfach einen Ton höher. Fehlende rhythmische Gliederung als ein Fanal der Bescheidenheit und einer geradezu evangelischen Askese - in der Ruhe liegt die Kraft. Sechs Töne, eine Länge: wie Backsteine reichen sie aus für die Errichtung eines großen Gebäudes, man muss nur genug davon nehmen. Der Sechsachtel-Takt bietet aber dann im Kontrasubjekt doch die Bühne für eine tänzerische Note, die fein oder kräftiger dosiert werden kann je nach gewählter Zackigkeit in der Phrasierung - alle Möglichkeiten auch hier, der ganzen Angelegenheit einen heiteren oder auch einen schwer lastenden Charakter zu verpassen. Das zweite Thema dann natürlich rhythmisch leicht bewegt, freilich ohne das eng gefasste metrische Repertoire des bis dahin harmonisch weit entwickelten Stücks zu sprengen, ein Backstein bleibt ein Backstein. Voll chromatisch durchmisst dieses zweite Thema den Raum einer engen Quarte, mit einem Trillerchen am Ende fast verwegen geschmückt: kleines buntes Fenster in der Apsis einer schlichten Kathedrale. Der neapolitanische Sextakkord (A-Dur, wir kennen die tröstliche Farbe in dieser strengen Welt bereits) lugt mit schiefgelegtem Kopf immer wieder hinter den meterdicken Säulen der strengen Tonlage hervor und weist mit seinem freundlichen Gemüt den Weg über wild mäanderndes, golden blinkendes Mosaik von Anfang an, denn er kennt sich aus im Vertikal-Akkordischen und im Chromatischen gleichermaßen. Nicht unpassend und doch überraschend der übermäßige Sextakkord gegen Ende, unwiderstehlich entwickelt aus unverhandelbaren Linien, ein übermäßiger Sextakkord, wie er später von Mozart vielleicht nicht erfunden, aber salonfähig gemacht werden wird - hier gibt es ihn schon, aber er ist ein Geheimtipp, und nur wer genau aufpasst und die Stelle kennt, wird ihn finden, der in keinem Reiseführer verzeichnet ist. Am Ende führt der Weg zurück zum Ausgang, und ohne Alteration wird es erreicht, das einsame Gis, das sich nicht fürchtet, niemals.
Fünf Kreuze natürlich, nur die fünf können das.
[virtus]
... früher