Vesper

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Samstag, 11. September 2010
Wenn ich früh in den Garten geh in meinem grünen Hut
ist mein erster Gedanke
was wohl mein Liebster tut
Mag sein, dass es doch so etwas wie Dranfheit gibt (das Wort habe ich soeben erfunden, um eine Entsprechung zu Taubheit und Blindheit für den Geschmackssinn zu haben), andererseits schmecke ich normalerweise schon sehr feine Unterschiede, und daher glaube ich ja, dass das mit dem vielen Kaffeesorten nichts als Marketinggedöns ist. Guatemala Fair Blend, Mild und Magen, van Hippenstejn Specialröstbohne mit Elefanten drauf, Gut&Günstig Extra Kräftig - schmeckt alles wie Kaffee, also sehr schwarz, sehr bitter, sehr gut einfach. Nur wo Melitta draufsteht, das war ein Reinfall, aber eigentlich ist es ja auch ganz logisch, dass sich aus gehobelten Filtertüten nicht wirklich ein Genuss kochen lässt.

Joghurt morgens im Nebel mit einem abgerundeten Plastikbabylöffel essen ist irgendwie schön. Also, angenehm. Tröstlich. Während die Nachbarn schon ihren halben Dachboden in den Container  werden werfen, selbst auf einem feuchten Stuhl Joghurt essen und im Kopf ein Seidentäschchen nähen. Die Tasse daneben auf einem hochkanten Buchenscheit mit exakt gleichseitigem, dreieckigem Querschnitt, ein schönes Geschenk, von anderen Nachbarn. Sowas gehört nicht in den Kamin. Das ist ein Tisch.

Fernsehtürme im Dunst müsste man malen können, so wie Turner.

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Freitag, 27. August 2010
Tief
Hier darf ich es sagen: ich mag den Regen. Ich mag den Überfluss dieses Ausnahmewetters, ja, das Überfließen aller Gefäße, das Starke, das Geräusch auf den Fensterbrettern und auf den Geländern, die Spiegelungen überall, die dunklen Farben des schwer Durchnässten, das Sumpfige des Rasens, die feuchte Haut, die gerollten Ränder der Papiere, die Locken, die Perlen, die gebeugten Äste und die überdrehte Nadel am Hygrometer. 90 %! Wo bekommt man die schon und wofür und so einfach geschenkt! Das heiße Sehnen kühlt und begießt er in einem und macht keinen Unterschied zwischen den Gesichtern unter den Kapuzen und tropfenden Strähnen.

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Sonntag, 22. August 2010
Chill am Rhy
Die ehrenwerte Stadt Basel bietet einen dreistündigen integrierten Städte-Wander-Abenteuerurlaub an. An einem warmen Tag (27 Grad müssen es mindestens sein) entschließt man sich gegen 15 Uhr, nach einem späten Frühstück, diesen Urlaub zu machen. Mit sparsamem Gepäck (keine Jacke, kein Getränk, kein Proviant) geht man etwas südlich der Dreirosenbrücke, etwa in Höhe des Bläsirings hinunter zur Rheinpromenade. Dort spaziert man weiter gen Süden unter Bäumen oder in der Sonne und findet den Anblick des Wassers und des erstaunlich weit entfernten anderen Ufers mit seinen Palästen, Hotels und schmalen Bürgerhäuschen wohltuend, wie erwartet. Schöne Frauen und schöne Männer jeden Alters und jeder Hautfarbe sind schon da und es ist merkwürdig still, sie sitzen da im Bikini oder Sakko und bewegen sich nicht, vielleicht ist es auch ein schönes Stück Kunst, den Schweizern ist es zuzutrauen.

Wasser macht sofort Hunger, schon beim Anschauen (es war nämlich nur ein kleines Frühstück, getoastetes Schwarzbrot mit Marmelade, Kaffee, Saft), links in den Seitenstraßen lädt es allenthalben zum Shoppen ein, den Urlauber aber interessieren die riesengroßen Viertelpizzen, die Chäswähen mit Zwetschgen, die Lachsbrote. Er lässt einpacken, alles locker in große Tüten, ein Fläschchen Wasser dazu. Zurück zum Fluss auf direktem Weg, dort Verköstigung im Schatten, der allerdings nur unter Baugerüsten anzutreffen ist, die künstlichen Stegen an diesem flachen Gleithang als Unterbau dienen. Schnell fließt der klare Rhein hier mitten in der sonnenmüden Stadt, Kreuzfahrtschiffe dümpeln darin ebenso wie hölzerne Kähne, um die Bojen stellt sich die Gischt auf.

Gesättigt und mit beginnendem Sonnenbrand auf den Füßen geht es hinüber auf die schattige Rheinseite, es folgt ein gemächlicher Aufstieg den Rheinsprung hinauf. Vorbei an schmalen Häuschen aus der Mitte des letzten Jahrtausends, sauber datiert über niedrigen Eingangstüren, vorbei an ordentlich gestrichenen grünen Fensterläden (Mathematische Fakultät der Universität Basel steht an dem eingeschossigen Bau, so habe ich mir das hier vorgestellt, da studiert es sich sicherlich sehr gemütlich, mit Blick auf den Rhein, gäll), über rotbraunes Kopfsteinpflaster steigt der Tourist hinauf bis zum Münsterplatz. Große Kastanien, große Kirche, großer Kreuzgang, großes Seufzen. Viele sind hier begraben oder mit Epitaphen geehrt. Hier ruhet in Gott | Hieronymus Bischoff des Raths | geb. den 4 Hornung 1678 nebst Gattin, auch Ritter und weltliche Damen und Herren, die Basler politische Kaste aus Jahrhunderten schläft hier, scheint es.

Von der den steilen Prallhang krönenden Mauer um den beschatteten Platz hinter dem Chor muss lange hinuntergeblickt werden auf Stadt, Land und Fluss. Dann Abstieg über steile Treppchen, vorbei an einer freiluftigen Lounge mit pastellfarbigen Liegesesseln und Klavier, hinunter bis zur Rheinfähre. Kurze Wartezeit, dann legt das Bötchen an, das, nur von der Strömung getrieben und an einem Stahlseil geführt, viel zu rasch das andere Ufer erreicht. Die 14 Passagiere stehen von der Holzbank auf und wanken auf den Steg.

Noch ein paar hundert Meter rheinaufwärts, hier werden Schuhe und Kleider in den mitgeführten Schwimmsack gestopft, und hier geht man nach kurzem Zögern und getroffenen nötigsten Absprachen, wie man sich in der mit knapper Mopedgeschwindigkeit dahineilenden Strömung zu verhalten habe, jeder einzeln, und die Gruppe als Gruppe, mutig ins Wasser. Die Bojen scheinen mit Motorkraft stromaufwärts entgegenzuschippern, von hinten hupen schwer beladene Frachtkähne, die (wie die am Ufer aufgestellten Tafeln vorsichtshalber berichten) nicht bremsen können in der Strömung, zwischen angeleinten Ruderbooten und den großen Steinpfeilern dreier Verkehrsbrücken hindurch will der Weg frühzeitig geplant werden ("Erstes Joch! Erstes Joch!" "Du meinst das erste Joch?" "Ja!!! Erstes!"), es schießt den Wanderer dahin, kein Halten ist, es gilt, warm zu bleiben, oben zu bleiben, auf Spur zu bleiben, und sich doch einfach mitnehmen zu lassen für fünfzehn kurze Minuten. Eine der Ausstiegsleitern südlich der Dreirosenbrücke muss man erwischen, und heiser vom dauernden Ist-das-toll-Schreien und vom Dirigieren des Kindes - das leicht und lustig wie ein Tischtennisball vorneweg trieb, auf Brust und Rücken wie Balu der Bär und voller Vertrauen in Natur und Mensch und die schützende Hand Gottes -, bedenklich ausgekühlt oder auf besondere Weise erfrischt, je nach Beschaffenheit des individuellen Speckgürtels, aber auch recht angehightert von der Adrenalinüberschwemmung erklimmt man etwas wacklig die Betonstufen des Ufers, deren Strahlungswärme jede Rheintochter und ihr Badegewand und auch alle Froschmänner alsbald trocknen lässt.

Kleider wieder drüber, Schuhe wieder an, der Urlaub ist zu Ende, nach drei Stunden nur und doch nach mehreren Tagen auch. Ein Teller Nudeln sollte danach unbedingt irgendwie drin sein, dann ist alles gut.

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Mittwoch, 18. August 2010
Klinker statt Klunker
Dass ein paar Klinkersteine so einen Spaß machen können. Im Katalog nicht halb so schön wie im hellen Sonnenschein! Ein bisschen klingt es dort auf den Hochglanzseiten mit Abheftheftung wie bei den Kaninchenzüchtern: gelbbunt gibt es und geflammt, naturrot nuanciert und Bockhorner Blaubraun, mit Fase und ohne Fase, und der Unterschied zwischen Rüttler und Rammler dürfte bekannt sein, aber wer wird schon kleinlich sein, wenn es so offen um's männliche Tun geht. Die Sorten haben außer Farben auch noch Namen wie unaufregende Urlaubsregionen, Münsterland und Juist und Colbitz - die Sorte Florenz ist dann folgerichtig auch der Gipfel des Mondänen: orangegelb geflammt! Sehr verwegen. Für mich bitte Speyer, das ist ein gerumpelter Stein, sieht schon ein wenig fertig aus. Gerumpelt sind wir in unserem Alter doch alle schon, abgestoßen fast sämtliche Kanten, eine Spur des Verlustes und des Einzigartigen für den Finger, der sich traut. Pflaster klingt gut, Verband noch besser, das Beste ist aber doch wohl die  Be Vergrünung, die in schattigen und feuchten Lagen auftreten kann. Wie im richtigen Leben. Her damit.

Samstag, 14. August 2010
Sommerfest
Freizeitkleidung war angesagt, und was für den einen nur kein Schlips ist, ist für den anderen der Gothicmantel. Einer derer, die das Geschäft führen, schießt mit seinen guten Oxfords hart aufs Tor, er wird gegen 3 Uhr 30 alles abschließen, wenn die letzten Dessert-Etageren hineingetragen und die drei Scheibenkoffer des DJs im VW-Bus verstaut sein werden. Dreimal gehe ich zum Grill, einmal in der Woche sattessen ist ja immer prima, dazwischen ein Schafskäse aus dem Ofen und immer schön Salat dazu, die Dressings sind alle sehr schmackig. Zwei Minitischtennisplatten werden zum Rundlauf zusammengestellt, die vier Schläger wechseln durch, das ist zusätzlich fordernd, der schöne Rasen vor dem Eingang wird von nackten Zehen umgegraben in den Kurven, und den Namen der Kollegen kenne ich nicht, die da vor und hinter mir das verloren geglaubte Spiel der Schullandheimwochen und der Großfamilienkonfirmationen spielen mit Geschrei. Immer schneller werden die Ballwechsel, immer kleiner die Bewegungen, und wer rausfliegt, trinkt einen Schluck aus einem der vielen Biergläser etwas abseits im Gras. Gegen den Aufschlag des Vorstands habe ich anfangs kein Mittel, aber Üben hilft ja bekanntlich, und beim dritten Schlussduell kann ich ihm die Bälle zurückschneiden, die Scherze dabei fallen nicht über die Kante, sondern finden seinen Blick.
Einer kippt mir ein Bier übers Kleid, ein anderer sagt, komm, ich tanz dich trocken, und am Arm schnattere ich mit ihm bis hinter die Boxen, wo deutscher Schlager (du bist mein Stern in der Nacht, und so ist es ja auch) und der aufkommende Abendwind dafür sorgen, dass das Kleid, wiewohl nach Bier und Schweiß und Grillkohle riechend, morgen noch wissen wird, dass es schön war, heute abend.

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Neue Ernte



Ein Geschenk, das. Merke: Kräftige Farben blühen später.

Und viele Schuhe. Brötchen vom Freitagsmann. Bruder: froh.

ZDF im Oktober wohl. Farbfernsehen sei das ja heute, sagt der Rumpelstelz, aber am Schwarz zeigt sich ja so oft die Kunst, denkt euch was aus. Den berühmten Frang-gng treffen, das wünsche ich mir schon lange.

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Samstag, 31. Juli 2010
Zinnien




Mittwoch, 28. Juli 2010
Fragend rauscht es durch den Wald
Seine Schwiegerfamilie werde ich mir morgen leihen, die Revierschnäuzin und den Arzt, dem die Frauen vertrauen, dieses großartige, schmerzhafte Duo. Von ihr leihe ich mir Bettwäsche und ein Handtuch und den Gutenachtkuss, den ihr Mann mir geben wird, denn er vertraut mir auch, und ihn will ich um etwas bitten, nämlich um eine kleine Fahrt mit offenem Verdeck, nur ein bisschen über Land. Mit dem geliehenen Auto werde ich hinfahren und neben mir den geliehenen Mitfahrer haben, mit einem Rucksack und drei Buchstaben, die ihm wahrscheinlich sogar gehören, und er glaubt, er zahlt den Sprit, aber den schenke ich ihm, und wenn ich von dem Schein zwei Eisbecher bezahle nächste Woche, einen mit Likör und einen mit Erdbeeren, dann werde ich an das Söhnchen denken, das er für irgendwen ist.
Den beiden, die nie anderes sich erlaubt haben, als mit zusammengebissenen Zähnen immer weiter zu machen, beide nicht glücklich, beide nicht unglücklich, den beiden werde ich schön was vorsingen, ein Abendständchen mitten im Melsunger Wald in einem kleinen Kirchlein. Die Lieder leihe ich mir aus vom guten Felix und vom allerbesten Johannes, ich werde sie auch gut behandeln, versprochen. Die ganze lustige Truppe wird da sein, das Ensemble des Jahres 2010, der Club für den Rest der guten Tage. Wir werden uns gegenseitig unter fliegendem Scherzen in die Piquéwesten und ungewaschenen Kleider helfen, die Reißverschlüsse werden surren und die Schuhe werden glänzen, Mappen unter den Arm und Auftritt.
Anderntags weiter, das Nest besuchen, aus dem ich gefallen bin, aber der Weg dorthin ist noch da, wenn auch rauhes Geflecht und der Flaum darin längst verfallen und vergangen sind, die Erinnerung daran aber nicht.

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Samstag, 24. Juli 2010
Braun Oral Des
Ich mag an meiner Zahnbürste den siebten Oberton, und den neunten, aber den höre ich nur beim 35er.

Sonntag, 18. Juli 2010
Weg damit
Die zu Müll verurteilten Präsente verflossener Damen (er nennt alle seine Damen "Damen") finden hier eine Heimat, und das Wachs, das ich aus der marokkanischen Laterne kratze, es riecht nach Zigarettenrauch und Bett und keine Zahnbürste dabei. Nur den gewaltigen, messingnen Klosternagel, den ich nicht aus Barmherzigkeit für all die mit Geschmack und aus vollem Herzen gewählten und wohl oft von nicht vorhandenem Geld gekauften Verehrungen, nicht aus Ehrfurcht vor all dieser Geschenk gewordenen vielen Liebe, sondern aus purer Hablust sehr gerne in meine Tasche gesteckt hätte, den wird er zurückschicken. Von ihr soll nichts übrig sein auf seinen Wegen, und zum Abschied macht er eine Flasche Bier damit auf, aha sagt er, es ist also ein Flaschenöffner und knallt ihn auf den Tisch.
Es bleiben aber Trauer, Zorn und Liebe, diese drei.

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