Vesper

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Donnerstag, 13. November 2014
Zeiten
Wenn die Dämmerung einsetzt, häufen sich die Fehler. Bauerngene. Zeit, Schluss zu machen und sich mit einer Decke und einer Brotzeit in einen Sessel zu setzen, aber sie machen dann Licht an und sagen, komm mit, wir holen noch Kaffee. Um halb acht die Haustür aufschließen, ein bisschen räumen, ein bisschen stricken, duschen, einen Zettel schreiben für das späte Vögelchen und dann Zeit, Schluss zu machen. Schlaf, 9 Stunden mindestens. So durchhalten bis Ende Februar. Könnte klappen und muss auch. Einen Tag abfeiern im Monat, als Eigenlohn. November Hamburg, Dezember Berlin. Linienbus – nach Feierabend einsteigen und dort wieder aussteigen, ich hoffe, es ist schön schummrig darin. Das Tempelhofer Feld wartet schon lange, auch der Tango dort, von dem Märchenhaftes berichtet wird. Wohin im Januar? Welche Tapete aufziehen? Vorher aber: Weihnachten für mich, sie verstehen es nicht und würden nicht so darauf herumfragen, wenn sie bemerkten, dass sie so viel anderes auch nicht verstehen. An Weihnachten fällt es ihnen dann immer auf. Du warst allen immer unheimlich, sagte die Mutter kürzlich zu mir.

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Montag, 6. Oktober 2014
somewhat different


Seit einem guten Jahr gibt es kein Licht im Flur und das war nicht weiter bemerkenswert, bis heute die Sonne aufging, in einem anderen Haus.

Dienstag, 9. September 2014
Serenissima


Der Dialekt der Rindviecher.

Schräge Pfeiler der Sechziger, wir touchieren dich morgens.

Das Angebot "Spieß Hahnchenfilet mit Bratwurst" ausschlagen. Sich des Sieges des Vielen über das Gute schämen – so ein Quatsch, aber isso.

Du verstehst die Zahlen und sagst Guten Morgen in der Landessprache, und sofort vermuten sie, dass du sie auch sprechen kannst. Das Italienisch der Opern, ja. Lasciate mi morire. Perche no? Perche non voglio. Ti vuol la fronte incoronar di rose. Da lachen die alten Damen und wie schön sie sind mit ihren Röcken und Strickjacken.

Ich sah dich ja im Traume. Er ging neben mir, er legte seine Hand kaum spürbar auf meine Schulter. Wir gingen auf grauem Grund ohne Sonnenschein. Sein Kuss auf die Grube zwischen Hals und Schlüsselbein war warm. Kein Wort, kein Trost, keine Heilung, nichts, aber alles Wirklichkeit. Wir gingen zu zweien. Genug. Es war ein Traum.

Drei Stunden nur, und verloren an die Serenissima. Klar jewesn.

Es war kein Traum im Traum.

Freitag, 22. August 2014
Mitten wir im Leben sind
Hamburg, Sie sind gestern wieder einmal geadelt worden.

Es kam vor ein paar Jahren ein junger Mensch herunter. Er sah gestern die Weltwirtschaft, die Kreuzfahrt, den Müll, die Marine, die Stiefel und Helme der Arbeiter, die Kanzel und den Stuck im Michel, das Turmtreppenhaus, die Hafencity mit ihren Glasscheiben, ein Kaufmannshaus von 1700, Fleete, Touristen und Japaner, das Karo des Hanseatensakkos, eine Fontäne mit Regenbogen, Hotels, Türen und Fahrpläne. Und als er nach sechs Stunden des Fahrens, Steigens, Gehens, Staunens, Wunderns, Hörens und Verachtens, als er gloriam vanitatemque der Guccis, Diors und La Perlas mit seinem kleinen Elsterherzen, das doch ganz eines Robin Hood würdig wäre, geschaut hatte, da sagte er: Hier ist es fast so wie in Paris.

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Montag, 11. August 2014
Urlaubsreif ist, wenn man vor dem Verlassen des Arbeitszimmers an die geschlossene Tür klopft.

Donnerstag, 10. Juli 2014
Wenn ich krank bin
Wenn ich krank bin, riecht die Welt ganz rot. Der Tee wird kalt, während ich schlafe, danach schwimmt ein Staub darauf. Ich sollte etwas essen, denke ich, aber dann geht es nicht. Der Tag fühlt sich an wie lauter Abende nach zwecklosen Kämpfen. Wenn ich krank bin, ist sie nett zu mir. Schlafe, sagt sie, ich komme dann später, es ist ja noch lange hell. Warm oder kalt, nach und nach und nach.

Samstag, 14. Juni 2014
Alles Frieren geht von den Füßen aus.

Montag, 9. Juni 2014
eine
eine
sieben
neun
neun
zwölf
neunzehn
dreizehn

Montag, 5. Mai 2014
Ps 62,2-3
Tausch: einer großen Taufe folgt eine kleine Konfirmation. War damals die große Kathedrale voll besetzt und voller Musik, gab es damals Bach und Messiaen und zweierlei Orgeln für dieses einzelne kleine Baby und für alle, die kamen, können heute vier der 14 reservierten Familienplätze verschenkt werden. Ein Blödflockenensemble spielt, es gibt Schnippslieder, die von den jungen Stimmen halb kindlich, halb mit dem Mut und dem Übermut des kommenden Erwachsenseins mitgesungen werden, und die Orgel klingt seltsam nach Hammond in diesem Gemeinderaum ohne Hall, der nun mit Gästen vieler Familien besetzt ist, von denen zwei Drittel das Glaubensbekenntnis nicht mitsprechen können. Das Vaterunser geht schon besser, und das ist schließlich das Wichtigste. Sie schauen ernst, die damals am Taufbecken sich erschreckt haben über das Wasser oder einfach alles verpennten, sie sind geschminkt und stöckeln auf ungewohnten Absätzen daher, sie tragen Anzüge und Krawatten, die sie komisch finden und sich selbst auch, das sieht man in ihren Gesichtern, die Schuhe sind geputzt und alle dunkel. Mehrere Omis weinen beim Einzug, der Pastor lässt sich rühren vom Elterndankblumenstrauß, der ihm von der rampensaumäßigsten aller Mütter mit einer kleinen Rede in den Arm gelegt wird, er hat es verdient, genau wie die pensionierte Lehrerin, ein Bild von einer Religionspädagogin, Pastorenfrau mit Großmutterkörper, die ihr Ehrenamt ernst und mit Schwung nimmt, seit die junge Diakonin gehen musste, weil die Kirche sie nicht mehr bezahlen konnte. Es sind Schulkameraden und der süße Freund gekommen, die beste Freundin sogar, die eigentlich in der Geschlossenen ist, weil sie sich die Arme immer zerschneiden muss – sie hat Ausgang erwirkt. Die eigene Oma sagt hinterher, als sie auf die Welt kam, da fragten wir uns, ob wir wohl die Konfirmation erleben, und da weint sie schon wieder. Später weinen die Gäste beinahe über die kleine Rede, die das Kind hält zum Essen, und dann macht man vier Gänge durch das Menü, während der Kleinste sich an seinen Nudeln freut und mit seiner Serviette mit allen Guckuck spielt.

Gestärkt gehen wir alle hervor aus diesen scharfen Kurven. Gas geben, der Anstieg ist noch nicht geschafft, die Kuppe aber schon sichtbar, dahinter eine Landschaft, auf die sich alle freuen, denn sie ist neu für alle und es sieht so aus, als scheine dort die Sonne.

Samstag, 26. April 2014
Schachbrett
Er sitzt ihr jede Woche gegenüber. Sie schaut ihm zu, wie er in Büchern liest.
Sie ist krank, mehrere Wochen. Er sagt, wo waren Sie.
Er holt das Kind nur noch ab und zu ab. Sie kann kein Muster erkennen.
Sie schreibt ihm, wünscht schöne Ferien. Er sagt, woher haben Sie meine Adresse.
Er sagt, wie waren Ihre Ferien. Sie sagt, danke gut, ich hoffe Ihre auch.
Sie schreibt mit einer Einladung. Er antwortet, er habe zu viel zu tun.
Er trifft sie zufällig auf einem Heimweg. Sie zögert, lässt sich dann doch ein Bier spendieren.
Sie schreibt, es war ein schöner Abend. Er antwortet nicht.
Er schreibt, kennen Sie diese Pizzeria. Sie schreibt, nein.
Sie trinkt einen Kaffee in seiner Küche nach dem Besuch der Pizzeria. Er sagt, er muss noch arbeiten.
Er schreibt, ich habe noch die Einladung vom letzten Sommer. Sie schreibt, jetzt habe ich viel zu tun.
Sie macht ihren besten Wein auf. Er sagt, das ist nicht nötig.
Er küsst sie leidenschaftlich. Sie sagt, ich bin krank.
Sie schreibt, ich habe mich einweisen lassen. Er schreibt Gute Besserung.
Er schreibt, ich könnte dich besuchen, dort. Sie sagt, in zwei Tagen bin ich sowieso zu Hause.
Sie schreibt, wir könnten in den Klinikgarten gehen. Er sagt, ich muss arbeiten.
Er bringt ihr Blumen und Pralinen ins Krankenhaus. Sie sagt, lass mich erst gesund werden.
Sie besucht ihn. Er macht Salat und sein Bett für sie.
Er besucht sie, er lädt sie ein. Sie genießt seinen Duft in ihrem Haus und trägt seine Hausschuhe.
Sie sagt, du musst nicht auf dem Boden schlafen. Er sagt, ich möchte deinen Schlaf nicht stören.
Er sagt, wir sollten nach Paris fahren. Sie sagt, ich habe das gerade meinem Kind versprochen.
Sie sagt, ich bin sehr froh. Er sagt, mein Leben ist verstört.
Er sagt, bleib doch noch. Sie sagt, ich möchte dich nicht stören.
Sie sagt, komm doch an dem Tag zu uns. Er sagt, ich möchte ein Junggesellenleben führen.
Er sagt, ich wollte dir nicht wehtun. Sie sagt, das weiß ich.
Sie sagt, ich verreise jetzt. Er sagt, verreist du alleine.
Er sagt, ich verreise jetzt, bis bald. Sie sagt, gute Reise.
Sie freut sich auf seine Rückkehr. Er muss sich um seine Dinge kümmern, denn er war lange weg.

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